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Anregung an den Kreistag / Tiertransporte in Tierschutz-Hochrisikostaaten

Die Antwort des Landkreises Emsland zur unserer an den Kreistag gerichteten Anregung zu Tiertransporten in Drittländer macht deutlich, wie wichtig Mandate auf dieser Ebene sind. Für den Kreistag kann kandidieren, wer im jeweiligen Kreisgebiet wohnt. Sprecht uns einfach an!

Konkret haben wir die jeder Person zustehende Möglichkeit der Anregung nach § 34 NKomVG genutzt. Wir haben angeregt, dass bei einem Transport von Tieren ins Drittland nachzuweisen ist, dass das Tier tatsächlich auch seinem Verwendungszweck, nämlich der Zucht, zugeführt wird. Nach Auffassung des Landkreises werden nahezu ausschließlich weibliche tragende Rinder exportiert, so dass es sich zweifellos um Zuchttiere handele. Diese Auffassung teilen wir nicht, zumal daraus allein nicht folgt, dass das Tier tatsächlich auch einem Herdenaufbau dient. Vielmehr liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass die Tiere abkalben, ausgemolken und dann der Schächtung zugeführt werden. Aus unserer Sicht ein krasser Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verankerte Staatsziel Tierschutz. Wir haben die Kommunalaufsicht beim Nds. Innenministerium eingeschaltet.

U.a. findet Ihr unsere Anfrage, unsere Stellungnahme, das Schreiben ans Innenministerium sowie die sinngemäße Wiedergabe der Antwort des Landkreises Emsland.

Am 11.02.2021 haben wir uns mit folgender Anregung an den Landkreis Emsland gewandt:

„Sehr geehrter Herr Landrat Burgdorf,

hiermit wende ich mich gem. § 34 NKomVG i.V.m. § 9 der Hauptsatzung des Landkreises Emsland mit folgender Anregung an den Kreistag:

1. Weisen Sie den Landrat an, beantragte Abfertigungen von Tiertransporten in Tierschutz-Hochrisikostaaten (insbesondere Ägypten, Algerien, Aserbaidschan, Irak, Iran, Jemen, Jordanien, Kasachstan, Kirgistan, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tadschikistan, Türkei, Tunesien, Turkmenistan und Usbekistan) abzulehnen, soweit nicht eindeutig nachgewiesen ist, dass die Tiere im Zielland auch Zuchtzwecken zugeführt werden. Der Nachweis kann beispielsweise durch Vorlage einer amtlich beglaubigten Aufstellung der im Zielland lebenden Nachzucht der in der Vergangenheit dorthin transportierten Tiere erfolgen (Herdenbuch).

2. Hilfsweise: Behalten Sie sich die Beschlussfassung für die Abfertigung von Tiertransporten in Tierschutz-Hochrisikostaaten gem. § 58 Abs. 3 NKomVG vor und machen Sie Ihre Entscheidung vom eindeutigen Nachweis, dass die Tiere im Zielland auch Zuchtzwecken zugeführt werden, abhängig.

Begründung:

Grundlage für die Abfertigung von langen Beförderungen ist die Verordnung (EG) Nr. 1/2005, nach welcher eine sog. Plausibilitätsprüfung durchzuführen ist. Es gab inzwischen unzählige Reportagen –ganz aktuelle die gestrige Reportage in Panorama 3*-, dass diese Prüfungen nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden, die Unterlagen teilweise unvollständig sind und die Angaben im Antrag nicht den Tatsachen entsprechen.

Allerdings ist die Abfertigung der Transporte nicht nur allein nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 zu beurteilen, sondern auch nach unserem nationalen Tierschutzgesetz. Die Verordnung (EG) Nr. 1 /2005 regelt lediglich die Bedingungen des Transports der Tiere, nicht aber die Bedingung, unter denen Tiere in Staaten außerhalb der EU geschlachtet werden dürfen. Diese Schlachtung widerspricht erwiesenermaßen unserem Tierschutzgesetz, so dass der Genehmigung des Transports unser Tierschutzgesetz entgegensteht. Genau aus diesem Grund hat sich beispielsweise die Unionsfraktion schon 2018 im Agrarausschuss des Bundestages eindeutig gegen Exporte von Tieren zur Schlachtung in Nicht-EU-Länder ausgesprochen.

Somit dürfte doch klar sein, dass Lebendtiertransporte in Tierschutz-Hochrisikostaaten tatsächlich nur zu Zucht- und nicht zu Schlachtzwecken durchgeführt werden dürfen. Soweit es um die Versorgung der Bevölkerung im Drittland mit Fleisch geht, wäre allein schon unter dem Gesichtspunkt des in Artikel 20a GG verankerten Staatsziels Tierwohl der Transport von Fleisch dem Lebendtiertransport vorzuziehen.

Die abfertigende Stelle steht somit in der Pflicht, die tatsächliche Bestimmung des Tieres im Drittland zu prüfen, einen „Etikettenschwindel“ als solchen auch zu erkennen und in letzter Konsequenz den Transport des Tieres nicht abzufertigen.

Beigefügtem Aufsatz der Akademie für Tierschutz ist zu entnehmen, dass in o.a. Drittländern heimische Rassen an die dortige Hitze, den Wassermangel und das nährstoffarme Futter besser adaptiert sind als europäische Rassen. Auch können europäische Rinderrassen nur mit sehr gutem Management im Drittland erfolgreich gehalten werden. Diese Strukturen besitzen o.a. Drittländer –insbesondere bzw. gerade in Krisengebieten- oft nicht. Nicht ohne Grund wurde im o.a. Beitrag von Panorama 3 empfohlen, sich die Zielländer über google earth einfach mal anzusehen. Viele Länder importieren seit Jahren Rinder zur Milcherzeugung, aber weder die Anzahl der gehaltenen Milchkühe steigt noch die Nachfrage nach Milch. Nur die Nachfrage nach Rindfleisch wächst.

Die oftmals angeführten höheren Preise für Zuchttiere gegenüber Schlachttieren spielen de facto keine Rolle in den Aufnahmeländern, da die Importe dort teilweise stark subventioniert werden, die Fleischpreise dort gar nicht mit unseren vergleichbar sind und sich dort eine Industrie (mit Rückexport in die EU) um die Verarbeitung des „5. Viertels“ aufgebaut hat: z.B. die Lederwarenindustrie der Türkei. All das geht in die gesamtwirtschaftliche Bilanzierung der Aufnahmeländer ein und so lohnt sich auch noch der Import von teuren Zuchttieren für die Erzeugung von Fleisch, welches nach den jeweiligen „religiösen Anfordernissen“ erschlachtet wird. In diesen Ländern gibt es schlicht keine Aufzucht von Nachkommen dieser Tiere – sprich Kälber, die den Zuchtcharakter dieser Importe belegen würden – diese Kosten werden deshalb ja auch noch eingespart. Es dauert mehr als 2 Jahre, die überhaupt nicht standortangepassten Tiere aufzuziehen, bevor sie wiederum Milch (und Kälber) geben. Dafür fehlt allein schon die Futterbasis, die in der Regel nicht einmal für die spärlich vorhandene Milcherzeugung im Land ausreicht.

Beenden möchte ich mein Anliegen mit einem Zitat von Edgar Verheyen aus seiner Reportage „Tiertransporte gnadenlos“ **: „Ich hatte nicht erwartet, dass es Transportfirmen und auch Veterinärbehörden gibt, die sich derart offenkundig über Recht und Gesetz hinwegsetzen, vielleicht weil Wirtschaftlichkeit in deren Augen vor Tierschutz geht ? Langzeittiertransporte vor allem nach Nordafrika, Zentralasien und die Nahen und den Mittleren Osten sollten deshalb ein Ende haben.“

*https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Fragwuerdige-Rindertransporte-Was-wissen-Aufsichtsbehoerden,rindertransport102.html

**https://www.ardmediathek.de/daserste/video/reportage-und-dokumentation/tiertransporte-gnadenlos-ab-12-jahren-viehhandel-ohne-grenzen/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzI3ZmY2MGZjLTdlNjItNGViMy1iZDQzLTU1MjlhMWY2OGQyNQ/

Der Landkreis antwortete uns daraufhin am 23.03.2021 sinngemäß wie folgt:

Der Kreisausschuss habe sich in seiner Sitzung am 08.03.2021 mit der Anregung befasst. Inhaltlich wurde darauf hingewiesen, dass in den einschlägigen Rechtsnormen der Begriff des Tierschutz-Hochrisiko-Staats nicht existent sei und im Zuge der Plausibilitätsprüfung der lokalen Veterinärbehörde nach den Vorgaben des Artikel 14 der VO(EG) 1/2005 auch nicht berücksichtigt werden könne. Darüber hinaus bestünden nach den geltenden nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen für die lokal zuständigen Veterinärbehörden keine Möglichkeiten, lange Tiertransporte grundsätzlich zu verbieten. Stattdessen sei jeder geplante Transport einer Einzelfallprüfung nach den Vorgaben des Artikels 14 der VO(EG) 1/2005, der sog. Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Sollte die Plausibilitätsprüfung ergeben, dass das Fahrtenbuch wirklichkeitsnah ausweist, dass die Beförderung den Vorschriften der VO(EG) 1/2005 entspreche, müsse die Behörde den Transport genehmigen. Es handele sich um eine sogenannte gebundene Entscheidung. Allgemeine tierschutzrechtliche Bedenken hinsichtlich der Haltung der Tiere in den Drittländern wären ebenso wie die zu einem unbestimmten Zeitpunkt zu erwartende Schlachtung unter Anwendung tierschutzrechtlich bedenklicher Schlachtverfahren nicht ausreichend, um einen Transport nicht zu genehmigen (s. Beschluss OVG Münster vom 10. Dez. 2020, Az.: 20 B 1958/20). Gemäß Erlass vom 04.01.2021 erfolge die Plausibilitätsprüfung der beim Landkreis Emsland beantragten Langzeittiertransporte in Drittländer in Abstimmung mit dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Entsprechend würden Genehmigungen nur mit Zustimmung des Ministeriums erteilt. Abgesehen von einigen wenigen Zuchtbullen würden nahezu ausschließlich weibliche tragende Rinder exportiert. Es handele sich dabei zweifellos um Zuchttiere.

Vor dem Hintergrund der inhaltlichen Bewertung der angeregten grundsätzlichen Ablehnung bzw. des gewünschten politischen Entscheidungsvorbehalts im Zuge der Genehmigungsverfahren von Langzeittiertransporten in Drittländer müsse festgestellt werden, dass eine Umsetzung unserer Anregungen grundsätzlich unzulässig erscheine. Darüber hinaus könnten mit dem Verhindern oder Verzögern grundsätzlich genehmigungsfähiger Tiertransportanträge unmittelbare Schadensersatzansprüche ausgelöst werden.

Dementsprechend habe Herr Landrat Burgdorf eine Ablehnung der vorgetragenen Anregung vorgeschlagen. Der Kreisausschuss habe sich diesem Vorschlag angeschlossen und keine weiteren Anregungen oder Einwände zum Umgang unserer Anregung vorgetragen.

Am 26.03.2021 haben wir gegenüber dem Landkreis Emsland wie folgt Stellung bezogen:

„Der Export lebender Rinder ins Drittland beschränkt sich auf Zuchttiere. Sie führen aus, dass „nahezu ausschließlich weibliche tragende Rinder exportiert werden“ und es sich dabei „zweifellos um Zuchttiere handelt“. Ein Zuchttier zeichnet jedoch nicht nur aus, dass es weiblich und trächtig ist, sondern vielmehr auch, dass dieses Tier einem Herdenaufbau im Drittland dient. Folglich im Drittland nicht nur abkalbt und dann, ggf. nach dem Versiegen des Milchertrages der Schächtung zugeführt wird, sondern im Drittland wieder belegt wird und erneut kalbt. So könnte die Idee eines Herdenaufbaus, zu dem zwangsläufig auch eine Kälberaufzucht gehört, verwirklicht werden. Der seit Jahrzehnten praktizierte Transport von Tieren ist vielmehr ein eindeutiges Indiz dafür, dass im Drittland kein Herdenaufbau stattfindet.

Die von Ihnen angeführte, recht schlichte Definition des „Zuchttieres“ sowie der fehlende Nachweis, dass die Tiere im Drittland tatsächlich auch der Zucht zugeführt werden, hat zur Folge, dass faktisch Schlachttiere ins Drittland transportiert werden. Wie meinen Ausführungen zu entnehmen ist, stellt der Transport von Schlachttieren einen klaren Verstoß gegen das Staatsziel Tierschutz, also unsere Verfassung dar.

Aus diesem Grund werde ich die Angelegenheit zur rechtlichen Prüfung der Kommunalaufsichtsbehörde beim Nds. Ministerium für Inneres und Sport vorgelegen.

Ergänzend: Der Begriff „Tierschutz-Hochrisikostaaten“ wird in mehreren Erlassen anderer Bundesländer verwendet, es werden die betroffenen Staaten, die unter diesen Begriff fallen, auch angeführt (insgesamt 17). Um nicht immer wieder 17 Staaten anführen zu müssen, wurde subsummierend der Begriff „Tierschutz-Hochrisikostaaten“ eingeführt.

Und: Es ist nicht darauf zu schließen, dass die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gefassten Beschlüsse auch von zweiten Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundlegende Gültigkeit entfalten. Verwaltungsgerichtsurteile auch höherer Instanzen beziehen sich ausschließlich auf den Einzelfall, der verhandelt wurde. Hinzu kommt, dass Beschlüsse –im Gegensatz zu Urteilen- in einem Eilverfahren nach Aktenlage (ohne mündliche Verhandlung oder Beweisaufnahme) gefasst werden; das Fachrecht geht also recht verkürzt in diese Rechtsprechung ein.“

Gleichzeitig haben wir uns am 26.03.2021 wie folgt an das Nds. Innenministerium gewandt:

„Ich bitte um Prüfung, ob der Landkreis Emsland bei der Abfertigung von Tiertransporten in Drittstaaten das in Artikel 20 a GG verankerte Staatsziel Tierschutz ausreichend würdigt.

Konkret geht es um die Abfertigung von Transporten sog. Zuchttiere in Tierschutz-Hochrisikostaaten. Die vor der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 durchzuführende Prüfung, ob die Tiere im Drittland auch ihrem Zweck entsprechend verwendet werden, nämlich zur Zucht, erfolgt aus meiner Sicht stark verkürzt bzw. gar nicht. Einzelheiten sind beigefügtem Schriftverkehr zu entnehmen.

Mir ist durchaus klar, dass die Kommunalaufsicht im Wesentlichen ein behördeninterner Vorgang ist. Zum Thema Tiertransporte gibt es kaum höchstrichterliche Rechtsprechung. Der Grund liegt auf der Hand. Der Staat hat Dritte nicht mit einer allumfassenden Klagebefugnis für die Tierrechte ausgestattet. Deswegen ist es ausnahmsweise gerechtfertigt, dass die Kommunalaufsicht sich mit dem Schutz des Staatsziels Tierschutz beschäftigt und hier tätig wird.“

Simone Oppermann, LaVo NI