Bericht aus dem vorpommerschen Kreistag und der Greifswalder Bürgerschaft – Juli 2023

Container“dörfer“ für Geflüchtete

Nachdem der Bürgerentscheid, der von teils rechtsradikal eingestellten Personen initiiert wurde, mit 29 % der Wahlberechtigten im Sinne der Initiatoren ausging, beantragte die AfD eine Aktuelle Stunde in der Bürgerschaft. In ihrer Beantragung behauptet sie, „dass die deutsche Migrationspolitik in der einheimischen Bevölkerung auf erhebliches Missfallen stößt“. Mit der Aktuellen Stunde will sie also erzwingen, dass sich die Greifswalder Politik mit ihrer Agenda auseinandersetzt und ihre ideologischen Prämissen akzeptiert.

Der Greifswalder Bürgerentscheid fand zur Frage, ob Flächen zur Errichtung von Container“dörfern“ an den Landkreis verpachtet werden sollen, statt. Dazu stellen wir fest:

1. Die 29 % bedeuten nicht, dass diese Bürger:innen auch gegen die Aufnahme von Geflüchteten seien. Die Prämisse der AfD und der Initiatoren, dass der Bürgerentscheid zum migrationspolitischen Kurs abgehalten worden wäre, ist schlichtweg falsch. Wer gegen Container“dörfer“ stimmte, ist gegen Container“dörfer“ und bringt damit keineswegs automatisch auch zum Ausdruck, gegen Migration, Weltoffenheit, Menschenrechte und Gastfreundlichkeit zu sein. Viele stimmten einfach deshalb mit Nein, weil sie statt Container menschenwürdigere Unterbringung bevorzugen. Zieht man diesen Anteil ab, haben wir den ganz normalen Prozentsatz der Wähler:innen, die halt leider üblicherweise AfD, NPD und CDU wählen. CDU? Ja, auch die Greifswalder CDU warb für ein Nein beim Bürgerentscheid.

2. Und das ist das zweite Problem. Die CDU selbst schuf die Problematik, denn sie war es, die den Kreistag überrumpelte und einen Beschluss durchpeitschte, dass Gelder von der Landesregierung beantragt werden, um Container für Geflüchtete zu beschaffen. Die Greifswalder Verwaltung (mit der CDU-Bausenatorin) hatte lediglich geeignete Flächen dafür rausgesucht, um einer entsprechenden Anfrage des Landkreises nachzukommen. Eine Entscheidung, ob darauf Container errrichtet werden sollen, und wie viele, war damit überhaupt nicht getroffen. Aber da hatte die Presse bereits von angeblich 500 Menschen berichtet, die in ein Containerdorf neben einer Greifswalder Schule gesteckt werden sollen. In der Nachbetrachtung offenbar ein gezielter Coup, um die Stimmung gegen die nichtrechten Parteien in Bund, Land, Kreis und in der Stat eskalieren zu lassen.

3. Die nichtrechten Parteien waren sich vielmehr von Anfang an einig, dass es keine Container“dörfer“ sein sollen, sondern prioritär dezentrale Wohnungen und nicht nur in Greifswald, sondern auch in anderen Städten des Landkreises. Und dies nicht erst als Reaktion auf die Proteste, sondern bereits vorher, wie u.a. der Änderungsantrag unserer Fraktion zur ersten Kreistagssitzung zum Thema belegt. Und sie legten auch fest, dass es nur einzelne Standorte mit Containern (oder besser: Unterkünfte in Modulbauweise) sein sollen und dies auch nur als allerletzte Notlösung im Fall der Fälle, irgendwann mal, falls alle anderen Unterbringungsmöglichkeiten im Landkreis nicht mehr ausreichen sollten. Und auch nicht neben der besagten Schule im Greifswalder Ostseeviertel, sondern an 3 anderen Standorten oder auf privaten Flächen.

4. Die CDU hatte also ein Problem geschaffen, für das sie sich selbst später als Retterin aufspielen wollte. Vermutlich, um den Kommunalwahlkampf 2024 einzuläuten, bei dem sie die Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft umkehren wollen. Dafür achtete die CDU in der aktuellen Debatte darauf, Landkreis-CDU und städtische CDU zu völlig gegensätzlichen politischen Positionen aufzubauen. Dabei war das gar nicht wirklich möglich, denn die städtische Bausenatorin von der CDU ist zugleich Fraktionsvorsitzende im Landkreis und der städtische Fraktionsvorsitzende ist zugleich stv. Fraktionsvorsitzender seiner Kreistagsfraktion. Aber es klappte trotzdem, da Ostsee-Zeitung, NDR & Co. wenig aufklärend tätig waren – ja, sie verschwiegen sogar die rechtsextremistischen Positionen der Bürgerentscheid-Initiatoren, die in Einklang mit AfD und CDU agierten.

5. Mittelfristig schlagen voraussichtlich nur die rechtsradikalen Bürgerentscheid-Initiatoren und der offiziell rechtsextremistische Verdachtsfall namens AfD politisches Kapital aus allem. Der CDU werden womöglich einfach nur Stimmen verloren gehen: nach Links, weil viele Wähler:innen den Rechtskurs nicht mehr ertragen, und nach Rechts, weil nicht wenige von der politischen Stimmung, die die CDU mit anheizt, angesteckt werden und das rechtsradikale Original wählen. Dabei gibt es aktuell gar keinen Bedarf an Container“dörfern“ und nicht einmal an einzelnen Containern. Und Bedarf an AfD-„Politik“ gibt es – abgesehen von der zweifelhaften Funktion als Mehrheitsbeschafferin für die CDU – noch weniger, da sie bei der kommunalen politischen Arbeit, außer Polemik zur Migrationspolitik, kaum etwas beizutragen hat. Was wir jetzt aber wirklich brauchen: Lösungen, wie wir diese brandgefährliche politisch aufgeheizte Stimmung wieder beruhigen und Lösungen für die Menschen in Greifswald erarbeiten.

6. Die hiesige CDU wird übrigens nicht nur selbst Verliererin sein, sondern hat uns alle zu Verlierenden gemacht, wenn Populismus und Extremismus bei den Wahlen im kommenden Jahr neue Rekorde einfahren sollten. Zu vermuten ist, dass die CDU auf allen politischen Ebenen langfristig an Koalitionsoptionen mit der AfD arbeitet. Europaweit werden derzeit solche Kooperationen eingegangen. Der Unterschied zu Deutschland ist jedoch, dass sich die ursprünglich rechtspopulistisch-wirtschaftsliberale AfD zu einer rechtsextrem-völkischen Partei gewandelt hat, während in den meisten europäischen Staaten eine Mäßigung der Rechtsaußenparteien einsetzte. Die CDU ist also auf gefährlichen Abwegen unterwegs.

7. Der Bürgerentscheid in Greifswald fand in enger Zusammenarbeit zwischen den rechtsradikalen Initiatoren, der lokalen CDU und der AfD statt. Die Greifswalder AfD gab auf der letzten Bürgerschaftssitzung auch bereits zu, dass es Absprachen gab. Und der CDU-Fraktionsvorsitzende Hochschild wiederum gab öffentlich bekannt, künftig für AfD-Anträge zu stimmen. Vergessen darf man hierbei nicht, dass seine Stadt-CDU früher eine gemeinsame Zählgemeinschaft mit der AfD hatte und beide auf der Kreisebene gegenseitig die gemeinsame politische Mehrheit absichern. Die Kooperation im Rahmen des Bürgerentscheids besitzt also einen größeren Rahmen und dieser soll vermutlich ausgebaut und formal etabliert werden.

8. Wir haben daher an der Aktuellen Stunde der AfD nicht teilgenommen, da wir nicht dazu beitragen möchten, dass Populismus und verfassungsfeindliche Positionen normalisiert werden. Das Ziel der AfD ist von ihnen klar benannt: sie möchten grundgesetzliche Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Flucht und Asyl, außer Kraft setzen. Der Rechtsruck der Gesellschaft wird vorangetrieben, wenn wir ihre Prämissen akzeptieren und an dem Diskurs unter diesen falschen Prämissen teilnehmen. Wir lassen nicht zu, dass der Bürgerentscheid als vorgeschobener Anlass einer Asyldebatte verwendet wird. Wir haben vielmehr die Wahrung unserer Verfassung und der allgemeinen Menschenrechte zum Auftrag und werden nur unter Einhaltung dieses Rahmens mit politischen Mitbewerber:innen den Diskurs führen.

9. Unser Protest dagegen, dass die Bürgerschaft für rechte Narrative instrumentalisiert wird, wurde von der lokalen Ostsee-Zeitung leider dafür benutzt, um der AfD eine weitere Bühne zu geben, indem sie dem AfD-Fraktionsvorsitzenden die Möglichkeit gab, sich irreführend und die AfD verharmlosend, zu äußern. Die Ostsee-Zeitung trägt somit leider auch zur Normalisierung der AfD bei und dies vor dem Hintergrund, dass ebenjener AfDler dem extremistischen Flügel zugerechnet wurde und die Burschenschaft, der er nahesteht, enge Kontakte zur Identitären Bewegung pflegt. Zur Klarstellung: Wenn wir AfD-Scheinargumente dekonstruieren, dann setzen wir das Setting – nicht diejenigen, die eine Gefahr für unsere demokratischen Grundwerte sind. Dem Boykott der Aktuellen Stunde schlossen sich übrigens Bürgerschaftsmiglieder der Linken, der Alternativen Liste und der Grünen an.

10. Auch der neuerliche Versuch, einen zweiten Bürgerentscheid gegen die Nutzung von Sporthallen für Geflüchtete auf den Weg zu bringen, wird von uns klar kritisiert. Denn wenn weder dezentraler Wohnraum, noch Container zur Verfügung gestellt werden sollen, kann ein Verbot von Sporthallen zur Unterbringung nur bedeuten, dass man schlichtweg gar keine Geflüchteten mehr haben will. Und dieses Ziel ist die eigentliche Intention von den Initiatoren. Und auch die AfD hat weitere Bürgerentscheide angekündigt. Somit ist klar: der Verfassungsbruch, die Verhinderung des Rechts auf Asyl, steht hinter alledem. Und somit ist der zweite Bürgerentscheid bereits juristisch zumindest Grauzone.

11. Dass die CDU hier mitspielt, ist erschütternd. Denn von ihr stammt der Antrag, dass keine Sporthallen für Geflüchtete verwendet werden sollen. Lediglich in Kombination einer Grundhaltung, dass auf privaten Flächen zur Not Container aufgestellt werden können, wäre solch ein Beschluss zur Nichtnutzung von Sporthallen tragbar. Diese Grundhaltung teilt die CDU nicht, wir aber durchaus. Daher haben wir uns enthalten, auch wenn wir die Stoßrichtung des ursprünglich mutmaßlich gegen die Verfassung gerichteten Beschlusses nicht mittragen.

12. In der aktuellen Kreistagssitzung brachte unsere Fraktion einen Antrag ein, dass die Verwaltung ausreichenden dezentrale Wohnraum und sogenannte Mini-Gemeinschaftsunterkünfte schaffen soll und dass der Landrat zur Umsetzung umfängliche Auskunft geben muss. Wir sind der Meinung, dass es dafür Potenzial gibt, denn in einigen Städten ist die Leerstandsquote ca. 10 % und die Sanierung von Wohnraum kommt allen Menschen zugute. Der sichere Hafen Greifswald muss ein solcher bleiben, aber alle Städte im Landkreis können ihren Beitrag zur Fachkräftesicherung und zur Wahrung der Menschenrechte leisten.

Grundversorgung und körperliche Selbstbestimmung sichern

Enorme mediale Aufmerksamkeit (insgesamt acht Artikel dazu bspw. in der Ostsee-Zeitung) erhielt auch unser Antrag für eine Wiederaufnahme der Grundversorgung im Bereich Schwangerschaftsabbrüche bei der Greifswalder Universitätsmedizin. Gab es bis vor einigen Jahren noch bis zu 100 Abbrüche, sind es seit 2018 nur noch null bis zwei pro Jahr. Die Betroffenen mussten auf andere Kliniken ausweichen, was gerade in ihren Situationen oftmals unzumutbare zusätzliche Belastungen darstellt. Zudem fordern wir die Abschaffung des § 218, um Betroffene zu entkriminalisieren.

Nach langer Debatte in der Bürgerschaft, bei der sich auch Sprecherinnen von der AG Medizin und Menschenrechte sowie eine ehemalige Leiterin der Gynäkologie einbrachten, erhielt unser Antrag schließlich eine Mehrheit. Im Vorfeld der der Bürgerschaftssitzung betrieben wir viel Öffentlichkeitsarbeit und eine Demonstration direkt vor der Sitzung wurde ebenfalls von der Linksjugend organisiert. Anja Hübner hielt eine bemerkenswerte Rede, brachte unseren Antrag in der Bürgerschaft ein und gab den Wortbeiträgen von Rechtsaußen Contra. Unser Dank gilt allen, die an dieser Beschlussvorlage und der Öffentlichkeitsarbeit mitwirkten!

Inklusion

Der Kreistag konnte sich nicht auf den neuen Schulentwicklungsplan einigen und verschob daher den Beschluss um eine Gremienrunde. Grund waren Uneinigkeiten zur Inklusion, da es Proteste gegen das Vorhaben der Landesregierung gab, dem der Kreistag folgen sollte. Es stellte sich zwar heraus, dass die Proteste zum größten Teil auf Missverständnissen beruhten, aber dennoch folgte der Kreistag mehrheitlich einem AfD-Antrag, die Schulentwicklungsplanung erstmal nicht zu beschließen. Dass sich hier CDU und AfD einig waren, ist zwar skandalös, aber leider mittlerweile normal in Vorpommern. Eine Gremienrunde später wurde jedoch der Schulentwicklungsplan zunächst unverändert eingebracht. Dann kam es kurz vor der Kreistagssitzung doch noch zu Kompromissen: So soll die Janusz-Korczak-Schule zu einer Modellschule für inklusives Lernen werden und der Schulentwicklungsplan wurde nur für den regulären Teil ohne Bedingungen genehmigt.