Das Atomabkommen und die jüngsten Entwicklungen im Verhältnis zum Iran

von Dr. Marcel Krohn / Sebastian Stopper

Der Iran hat etwa 80 Millionen Menschen und damit eine vergleichbare Bevölkerungsgröße wie Deutschland. Es handelt sich um ein hochindustrialisiertes Land, das neben den Exportschlagern Öl, Gas, Stahl- und Aluminiumgüter, auch Autos, Schiffe, Flugzeuge herstellt, um nur einige wichtige zu nennen. Das BIP erreichte 2011 mit knapp 600 Milliarden Dollar seinen bislang höchsten Wert. In den vergangenen zwei Jahren hat die Wirtschaft des Landes unter dem Sanktionsdruck der USA stark gelitten.

Historische Dimension in den bilateralen Beziehungen zwischen dem Iran und den USA

Wenn man das Verhältnis zwischen den USA und dem Iran begreifen will, muss man auf das Jahr 1953 zurück gehen, als die Vereinigten Staaten gemeinsam mit Großbritannien, um die Interessen ihrer nationalen Ökonomien zu wahren, den Putsch gegen den ersten demokratischen Ministerpräsidenten des Iran, Mossadegh, vorantrieben. Mossadegh war keineswegs unumstritten, hatte aber eine klare Mehrheit der iranischen Bevölkerung hinter sich. Die Entmachtung Mossadeghs festigte die Stellung des Schahs Mohammad Reza Pahlavi, der ein Freund amerikanischer Lebensart war und sich mit unverhohlenem Sarkasmus über die Gepflogenheiten iranischer Kultur hinwegsetzte. Nachdem die USA nach Ausbruch der islamischen Revolution das Land mit weitreichenden Sanktionen belegt und dem Schah Asyl gewährt hatten, entlud sich die Wut des Mobs, der die amerikanische Botschaft erstürmte und gestützt von Revolutionsführer Chomeini 52 Botschaftsangehörige rund ein Jahr lang in Geiselhaft nahm. Im ersten iranisch-irakischen Krieg belieferten die USA (neben Frankreich, China, der UdSSR u.a.) Saddam Hussein mit Waffen, der 1988 durch Einsatz des Nervengifts VX, das von amerikanischen Kampfhubschraubern versprüht wurde, faktisch den Sieg davontrug. Im selben Jahr zerstörten die USA zwei iranische Ölplattformen und mehrere Schiffe. Außerdem beschoss eine amerikanische Fregatte auf iranischem Hoheitsgebiet ein ziviles iranisches Flugzeug, wobei 290 Menschen ihr Leben verloren. Nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center bezeichnete George W. Bush Iran als einen Teil der ‚Achse des Bösen‘ und verschärfte die Sanktionen. Nachdem Präsident Ahmadinedschad bekannt gegeben hatte, dass der Iran ein eigenes Atomwaffenprogramm anstrebte, führte 2006 einer Resolution des UN-Sicherheitsrats entsprechend auch die Europäische Union Handelssanktionen gegen Teheran ein. Die Sanktionen ließen keinen Bereich der Wirtschaft aus, so dass die iranische Ökonomie erheblichen Schaden nahm.

Die Entwicklung seit dem Atomabkommen

Das Atomabkommen von 2015 sollte den Iran am Bau von Atomwaffen hindern und sein ziviles Nuklearprogramm internationaler Kontrolle unterwerfen. Im Gegenzug wurden Sanktionen gegen das Land schrittweise aufgehoben. Für den Iran bedeutete das Abkommen eine Erholung seiner Wirtschaft, und allein der Handel mit Europa stieg 2017 auf über 10 Milliarden Euro. Obwohl die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) dem Iran mehrfach bescheinigte, sich an die Abmachungen des Atomabkommens zu halten, wurden Beweise für einen Vertragsbruch vorgelegt, die USA stieg im Frühjahr 2018 einseitig aus dem Abkommen aus und belegten das Land erneut mit Wirtschaftssanktionen. Nach Meinung mancher Analysten ging es dem amerikanischen Präsidenten gar nicht darum, den Iran vom Bau einer Atombombe abzuhalten, vielmehr wollte er einen Regime-Change einleiten, der den Interessen der USA entgegenkäme und Trump entscheidend zur Wiederwahl verhelfen könnte.

Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China bedauerten oder verurteilten den einseitigen Vertragsbruch durch die USA und bekundeten ihren Willen, am Abkommen festzuhalten. Das erwies sich jedoch insbesondere für die europäischen Staaten als schwierig, denn die USA drohten allen Unternehmen, die weiterhin Handel mit dem Iran trieben, mit Strafzahlungen oder ‚Blacklistungen‘. Insbesondere wollte keine Bank in Europa mehr Geschäfte mit dem Iran finanziell begleiten aus Angst vor Repressionen. Frankreich, Großbritannien und Deutschland entwickelten mit INSTEX (Instrument in Support of Trade Exchanges, dt.: Instrument zur Unterstützung des Handelsaustausches) ein Instrument, das darauf abzielte, den Handel zwischen der EU und dem Iran unter Umgehung der US-Sanktionen zu ermöglichen, wobei Exporte europäischer Firmen direkt mit iranischen Ausfuhren verrechnet werden sollte. Praktisch sollte INSTEX also wie eine Tauschbörse funktionieren. Doch das, was Außenminister Maas als „Demonstration europäischer Handlungsfähigkeit“ bezeichnet, erwies sich als völlig untauglich, denn die Unternehmen bekamen keinerlei Garantien und konnten nicht davon ausgehen, dass sie anonym blieben. Andererseits erwiesen sich die Amerikaner als sehr erfolgreich darin, deutsche Firmen und Banken einzuschüchtern, und von den Generalkonsulaten gingen unverhohlene Drohungen aus. Kaum ein deutscher Unternehmer nahm zum Thema INSTEX vor der Presse Stellung, und selbst der deutsche Wirtschaftsminister vermied jeden Kommentar zu dem Thema. Der Iran kündigte unterdessen an, sich nicht mehr an das Atomabkommen gebunden zu fühlen, da auch die Europäer ihren Verpflichtungen nicht nachkämen, und kündigte den Einsatz leistungsstärkerer Zentrifugen zur Urananreicherung an.

Um den drastischen Rückgang des Handels zwischen Europa und dem Iran zu kompensieren und eine Rückkehr zum Atomvertrag zu ermöglichen, schlug Macron im September 2019 vor, dass Frankreich, Großbritannien und Deutschland dem Iran einen Kredit von 15 Milliarden Dollar gewähren sollten, der dann direkt über die Nationalbanken oder die EZB hätte abgewickelt werden sollen. Sanktionen aus Washington gegen die Nationalbanken oder die EZB wären wohl auszuschließen gewesen. Bisher wurde dieser Vorschlag aber nicht in die Tat umgesetzt. Die Folgen der neuerlichen US-Sanktionen sind für den Iran katastrophal: Etwa eine Million Arbeitsplätze gingen verloren. Die Währung verlor drastisch an Wert – der Graumarktkurs für einen Euro liegt heute bei 148.000 Rial. Die Immobilienpreise verdoppelten sich. Ein dramatischer Mangel an Medikamenten und Lebensmitteln ist zu verzeichnen.

Die Eskalation durch die Ermordung General Suleimanis

Am 3. Januar 2020 wird auf Befehl von Präsident Trump General Qassem Suleimani, dem wohl zweitmächtigsten Mann im Iran, auf irakischem Staatsgebiet mittels Einsatz einer Drohne ermordet. Als Motiv gibt Trump an, Suleimani war verantwortlich für zahlreiche Tote und habe Anschläge auf mehrere diplomatische Vertretungen der USA geplant. Beweise für letzteres gibt es nicht, wie Trumps Verteidigungsminister Marc Esper zugibt. Suleimani werden zudem zahlreiche Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen. Dennoch ist seine außerlegale Hinrichtung, bei der auch noch einige andere Personen ums Leben kamen, völkerrechtswidrig, einige nennen es auch Staatsterrorismus. Am 8. Januar bombardierte der Iran amerikanische Militärstützpunkte. Die meisten Analysten bewerteten dies als einen ungewöhnlich zahmen und eher symbolischen Vergeltungsschlag, zumal der Irak vor dem Bombardement gewarnt worden sei. In der gleichen Nacht schoss die iranische Luftabwehr in Teheran versehentlich (die Luftabwehrraketen waren in Erwartung eines US-Vergeltungsschlags scharf geschaltet) ein ukrainisches Passagierflugzeug ab, wobei alle 176 Menschen an Bord starben. Nach zwei Tagen des Leugnens gestand die iranische Führung ihre Verantwortung vollumfänglich ein. Darauf kam es zu Massenprotesten im Iran. Trump, der schon zuvor durch martialische Töne dem Iran gegenüber auffiel (2018 drohte er dem Land mit ‚Auslöschung‘), sicherte den Demonstranten seine Unterstützung zu und nannte Suleimani einen ‚Hurensohn‘.

Die aktuelle Lage

Der Anschlag auf Suleimani war, abgesehen von seiner Unrechtmäßigkeit, auch ein Spiel mit dem Feuer, denn es hätte leicht zu einer kriegerischen Eskalation kommen können. Gefährlich sind aber auch Trumps Ambitionen, die auf einen Regime-Change hinzielen. Unbenommen ist der Iran kein Vorbild eines demokratischen Rechtsstaats und viele Bürgerrechte werden versagt. Dennoch darf ein Veränderungsprozess nur von Innen passieren. Libyen und Irak sind beängstigende Beispiele dafür, was passiert, wenn ein Staatswesen durch äußere Einwirkungen völlig erodiert und kriminelle Elemente an Macht gewinnen.

Erschreckend ist, dass die USA die EU zum Zuschauer degradieren. Nachdem alle bisherigen Versuche, das Atomabkommen am Leben zu halten, nicht fruchteten, weil die Drohgebärde der USA zu mächtig war, einigten sich Frankreich, Großbritannien und Deutschland darauf, den sogenannten Streitschlichtungsmechanismus in Kraft zu setzen. Was so friedvoll klingt, ist in Wahrheit die letzte Eskalationsstufe vor der endgültigen Aufkündigung des Atomabkommens und einer Wiedereinsetzung der UN-Sanktionen. Insofern grenzt es schon an Zynismus, wenn Außenminister Maas die Aktivierung des Schlichtungsmechanismus als Rettungsversuch bezeichnet. Präsident Rohani stellte indes noch einmal klar, dass der Vertrag durch die USA aufgekündigt worden war und der iranische Staat jederzeit die vertragsgerechte Umsetzung des Abkommens gewährleisten würde, wenn auch die andere Seite zu den Bestimmungen des Abkommens zurückkehre. Dass es dazu noch kommt, ist nun aber unwahrscheinlicher denn je. Europa hat vor den USA vollständig kapituliert.

Der iranischen Regierung sollte daran gelegen sein, jede weitere Provokation zu unterlassen und die Unterstützung von Milizen außerhalb ihres Staatsgebiets einzustellen. Nur so kann das weitere Erodieren von Stabilität in der Region aufgehalten werden. In Irak, Jemen, Libanon oder Syrien führen die ständigen Angriffe auf Einrichtungen und Personal laufend zu neuen Opfern. Nach offiziellen Schätzungen ist der Iran im Irak für über 600 getötete Soldaten allein us-amerikanischer Herkunft verantwortlich. Auch die Zivilbevölkerung leidet unter den anhaltenden Zusammenstößen, 2019 kamen im Irak fast 2400 Zivilisten ums Leben. Erschreckend ist, dass sich die EU in diesem Konflikt zum Zuschauer degradieren lässt.

Fazit / Position

Frankreich, Großbritannien und Deutschland haben also beschlossen, den sogenannten Streitschlichtungsmechanismus im Atomabkommen mit dem Iran auszulösen. Der BAK Internationale Angelegenheiten der Partei Mensch Umwelt Tierschutz sieht darin einen strategischen Fehler und eine Kapitulation vor den Drohgebärden der USA. Das Atomabkommen war der mutmaßlich bislang erfolgreiche Versuch, den Iran diplomatisch in die Weltgemeinschaft einzubinden, eine friedliche Entwicklung zu erzwingen und ihm gleichzeitig wirtschaftliche Konsolidierung zu ermöglichen. Die Sanktionen hingegen zerrütten das Land und könnten das Regime nur noch weiter festigen. Eine kriegerische Destabilisierung des Iran, auf die es die USA womöglich abgesehen haben, kann in der ohnehin labilen Region zu unvorhersehbaren Entwicklungen führen. Anstatt nun mit dem Streitschlichtungsmechanismus den Iran weiter unter Druck zu setzen und aller Voraussicht nach das Ende des Atomabkommens herbeizuführen, hätten Frankreich, Großbritannien und Deutschland weiterhin um dessen Aufrechterhaltung ringen müssen.