Israel: Heimat einer multiethnischen Gesellschaft

von Jörg Etgeton

Der Konflikt zwischen Juden und Palästinensern ist mindestens so alt wie der Staat Israel selbst. Palästinensische Anschläge gegen jüdische Siedler begannen sogar schon Ende des 19. Jahrhunderts.

Wohlgemerkt aber hatten Mitte des 20. Jahrhunderts weder Juden noch Palästinenser einen eigenen Staat: das Gebiet wurde vom Völkerbund und dann den Vereinten Nationen als Mandat verwaltet. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs suchten schließlich Juden aus aller Welt Zuflucht im „gelobten Land“. Arabische Interessenvertreter favorisierten einen gemeinsamen Staat im Westen des Mandatsgebiets, was aber von der UN als nicht realisierbar verworfen wurde. Sie lehnten den 1947 zur Abstimmung vorgelegten Teilungsplan für das jüdisch-arabische Palästina ab. Nach einem Jahr kriegerischer Auseinandersetzungen gelang es den eingewanderten und ansässigen Juden im Gebiet vom Jordan westwärts bis zum Mittelmeer 1948 ihren eigenen Staat auszurufen. Die USA sowie die Sowjetunion anerkannten die Staatsgründung und nahmen diplomatische Beziehungen auf. Die fünf arabischen Anrainerstaaten erklärten Israel sofort den Krieg, konnten sich aber auch militärisch nicht durchsetzen.

Standen 1946 im damals noch britischen Mandat für Palästina 600.000 Juden der doppelten Zahl von Arabern gegenüber, leben derzeit im von Palästinensern bewohnten Gebiet (Gaza-Streifen und Westjordanland) ca. 4,8 Millionen Menschen, während Israel 8,5 Millionen Einwohner hat. 20 % davon sind muslimische, christliche und drusische Araber; ihr Anteil nimmt rasch zu. Dieser Bevölkerungsanteil konzentriert sich im Norden Israels an der Grenze zu Libanon, wo die aus Iran angeleitete paramilitärische schiitische Hisbollah gewaltsam für einen Abzug Israels kämpft. Es ist inzwischen eine Überlebensfrage für Palästinenser wie Israelis geworden, in absehbarer Zukunft zu einer dauerhaft tragfähigen politischen bzw. staatsrechtlichen Regelung zu finden.

Im israelisch-palästinensischen Konflikt gibt es heute – bis auf radikalislamische Organisationen und die Regierungen des Irans und des Gaza-Streifens – kaum noch jemanden mehr, der ernsthaft das Existenzrecht Israels in Frage stellen würde. Auch das jahrzehntelang geltende Ziel der Zerstörung des Staates Israel wurde schon 1989 von Palästinenserführer Jassir Arafat für hinfällig erklärt. Umgekehrt anerkennt Israel die politischen Repräsentanten des palästinensischen Volkes.

Einen wichtigen Schritt hin zur friedlichen Koexistenz machten Jassir Arafat und Jitzchak Rabin 1993 in Oslo. Der durch eine abschließende Zeremonie besiegelte Beschluss übertrug den Palästinensern die Verwaltung im Gaza-Streifen und der Stadt Jericho. Während dort inzwischen die radikale Hamas herrscht, wird das palästinensische Gebiet im Westjordanland heute von der gemäßigten Fatah selbstverwaltet. Das allerdings schließt israelisches Siedlungsgebiet aus.

Ausschlaggebend für das bisherige Scheitern aller Versuche, einen palästinensischen Staat zu definieren, sind die Gebietsansprüche bzw. auseinander gehende Vorstellungen zur Grenzziehung. Meist gefordert wird von palästinensischer Seite eine Grenze entlang der „Grünen Linie“ (Waffenstillstandslinie von 1949 und Demarkationslinie 1967 nach dem Sechstagekrieg), die aber Israel ablehnt. Während die Palästinenser befürchten, dass ihr neuer Staat in zu engen Grenzen nicht überlebensfähig sein wird, sträubt sich die israelische Regierung, das bisher besetzt gehaltene Gebiete und die dort errichteten jüdischen Siedlungen aufzugeben.

Ein erster mutiger Schritt wurde von Ariel Sharon unternommen, als er 2005 gegen starken innenpolitischen Widerstand eine Räumung von Siedlungen im Gaza-Streifen durchsetzte. Weiterhin aber beherrscht Israel das Gebiet de facto, da die Grenzübergänge, das Meer und der Luftraum von israelischem Militär kontrolliert werden.

In der Folge wurde 2006 in der Knesset ein „Konvergenz-Plan“ vorgeschlagen. Auch im Westjordanland wollte man einige Siedlungen aufgeben und andere Gemeinden zu drei größeren Arealen zusammenfassen. Damit hätte das israelische Gebiet noch 10 % der Fläche des Westjordanlandes umfasst. Mit Ausbrechen des Libanonkrieges gegen die Hisbollah wurde der Plan aber auf Eis gelegt und anschließend von der neugewählten israelischen Regierung nicht mehr weiterverfolgt.

Der letzte, ebenfalls gescheiterte Anlauf waren die israelisch-palästinensischen Friedensgespräche 2013-2014, die Israel schließlich abbrach, weil es nicht mit einer palästinensischen Regierung zusammenarbeiten wollte, in der auch Hamas-Mitglieder vertreten gewesen wären.

Auch international ist der Staatengemeinschaft viel an einer Bewältigung des Konfliktes gelegen. Dies belegen die zur Unterstützung der Palästinensergebiete aufgebrachten Milliardenbeträge. Die EU und Deutschland zählen zu den wichtigsten fünf Spendern und Geldgebern.

Weiterhin aber setzt die UN „zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen“ als Ziel fest (Resolution vom 24.11.2015, 155 Stimmen, sieben Gegenstimmen und sieben Enthaltungen). Beide Seiten bleiben also weiterhin aufgefordert, an einer Kompromisslösung zu arbeiten. Dies liegt sowohl im Interesse der Israelis als auch der Palästinenser. Die derzeitige Radikalisierung aller Parteien allerdings lässt eine Einigung aus eigener Kraft als unwahrscheinlich erscheinen. Es wäre hier vonnöten, dass sich ein unparteiischer Vermittler einschalten würde. Gerade jetzt nach dem teilweisen außenpolitischen Rückzug der USA besteht die Möglichkeit, sich auf internationaler diplomatischer Ebene einzuschalten und Initiative im Nahostkonflikt zu zeigen.

Voraussetzung wäre eine schrittweise territoriale Umgestaltung des Westjordanlandes anhand einer neuen „Roadmap“ zu einem Gebiet unter vollständiger Selbstverwaltung durch die Palästinensische Autonomiebehörde. Es bleibt wohl keine andere Wahl als illegale Siedlungen im Einvernehmen zu legalisieren oder aber aufzulösen, um anschließend einen vollwertigen, eigenständigen Staat Palästina zu schaffen. Ein autonomer Staat im Westjordanland würde dann helfen, die Konflikte im Gaza-Streifen und mit der Hisbollah konstruktiv zu deeskalieren.

Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz fordert alle beteiligten Kräfte dazu auf, in Nahost aktiv politisch mitzuwirken und den Friedensprozess durch ein Wiederanstoßen der Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Finanzielles Engagement allein ist nicht ausreichend. Es braucht eine ausgearbeitete politische Agenda im israelisch-palästinensischen Konflikt. Der Wille zu einer Lösung ist in beiden Völkern vorhanden – Graswurzelbewegungen vor Ort überbrücken schon seit Jahren gekonnt die politische Kluft (siehe beispielsweise „Der Weg zur Genesung“ http://www.roadtorecovery.org.il/) und tragen zu Versöhnung und Völkerverständigung bei. An ihnen sollte sich die Politik ein Beispiel nehmen.