Lohngerechtigkeit?

Als vor einigen Tagen bekannt wurde, dass der scheidende Daimler-Chef Dieter Zetsche ein Ruhegehalt von mindestens 1,05 Mio. Euro erhalten wird (4000 Euro am Tag), war die Empörung wieder einmal groß. Dabei hat schon im vergangenen Jahr eine Studie nachgewiesen, dass die Spitzengehälter rasant steigen, während Durchschnittseinkommen stagnieren. Von den Renten spricht man besser gar nicht (875,68 EUR im Jahr 2017). Deutschland driftet immer schneller auseinander. Diese Spaltung verändert das soziale Klima und gefährdet unsere Gesellschaft. Und daran ist nicht eventuell unterstellter Sozialneid der Normalbürger schuld.

Wie Reichtum Menschen verändert, konnten Forscher eindrücklich anhand eines Monopoly-Spiels untersuchen. Für den Test wurde ein zufällig ausgewählter Spieler privilegiert: Er bekam zweimal so viel Startgeld, zwei Würfel und beim Überschreiten von Los das doppelte „Gehalt“. Die beiden Spieler starteten das Spiel meist etwas reserviert, aber wurden sich bald ihrer unterschiedlichen Positionen bewusst und passten sich an.

Das Verhalten der „Privilegierten“ hob sich sichtbar ab von dem ihrer „armen“ Mitspieler. Sie zogen ihre Spielfigur laut über das Spielfeld, veränderten ihre Körpersprache und zeigten deutliche Ausdrucksformen von Dominanz. Auf den ersten Blick trivial: Sie bedienten sich häufiger aus einer der beiden zugänglichen Schüssel mit Snack-Brezeln. Und im Verlauf des Spiels, das sie immer reicher und reicher machte, wurde ihr Umgangston zunehmend ruppiger. Sie fühlten ihre Macht und zeigten kaum mehr Empathie für den „armen“ Spieler. Befragt nach ihrer Meinung, warum sie das Spiel gewonnen hatten, erklärten die privilegierten Spieler ihren Erfolg oft mit ihrer Strategie und dem Kauf verschiedener Grundstücke. Dass sich ihre Situation von Anfang an und auch im Spielverlauf grundlegend von der des anderen Spielers unterschied, schien ihnen dagegen weniger bedeutend.

Diese Metapher lässt sich auf unsere Gesellschaft und ihre Hierarchie übertragen. Wer Erfolg hat, einen hohen Status besitzt, reich und vermögend ist, der schreibt sich diese Tatsache seinem eigenen Engagement, seinem Geschick, seiner Intelligenz und seiner harten Arbeit zu. Und auch Außenstehende sehen das meist so: Er wird es sich schon irgendwie verdient haben. Es wird beinahe so etwas wie ein Recht auf Reichtum abgeleitet. Was meist keine Beachtung mehr findet, sind die unterschiedlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, in denen wir agieren. Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass Mitgefühl und Empathie stark abnehmen. Das Eigeninteresse nimmt überhand und damit auch die Bereitschaft, amoralisch zu handeln und Regeln zu brechen.

Die wachsende soziale Ungerechtigkeit zeigt zahlreiche negative Auswirkungen auf die wichtigsten Gebiete, die eine Gesellschaft zusammenhalten: soziale Mobilität, Wirtschaftswachstum, Gemeinschaft, Vertrauen, Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung. Wir müssen uns wieder auf die Bedeutung von Kooperation, Gemeinschaft und Mitgefühl besinnen. Wo der ungezügelte Markt offensichtlich versagt, hat die Politik dafür zu sorgen, dass Gerechtigkeit einkehrt. Verhältnismäßige Gehälter in Deutschland wären ein Anfang – sowohl ganz oben als auch ganz unten.