Bild: Eckard Wendt / AGfaN e.V. / Margret Giese im blauen Pullover

Mensch Umwelt Tierschutz in Aktion – „Gemeinsam sind wir stark“ – Der Kampf niedersächsischer Bürgerinitiativen gegen die Flut von geplanten „Hähnchen“ – Mastanlagen

Unter dem Thema „Bäuerliche Landwirtschaft statt Agrarfabriken“ fand am 05. März 2010 im Landtag in Hannover ein Fachgespräch mit anschließender Diskussion statt, zu dem Bündnis 90/Die Grünen eingeladen hatten. Thematisiert und diskutiert wurden die zu erwartenden Auswirkungen von über 400 geplanten „Hähnchen“-Mastanlagen in Ostniedersachsen, für die der emsländische Investor Rothkötter Landwirte als Lohnmäster anheuern will. In Wietze (Raum Celle) ist eine riesige Schlachtanlage geplant, in der jährlich ca. 135 Millionen (!) „Hähnchen“ geschlachtet werden sollen.

Der Einladung in den Landtag waren zahlreiche Besucher gefolgt, darunter auch die Vorsitzende des LV Niedersachsen, Margret Giese. Viele der Zuhörer/innen waren Angehörige von Bürgerinitiativen, die sich an immer mehr Orten bilden, um die Pläne von Rothkötter zu durchkreuzen. Inzwischen findet eine immer größere Vernetzung der verschiedenen Bürgerinitiativen statt, und man unterstützt sich gegenseitig bei den – an wechselnden Orten stattfindenden – Demonstrationen.

Im Folgenden eine Übersicht über die Referenten und – in gekürzter Form – die Inhalte ihrer Beiträge:

1. Moderator: Christian Meyer, Bündnis 90/Die Grünen (MdL), Sprecher für Landwirtschaft, Ländlichen Raum, Natur- und Tierschutz. In seinem Beitrag teilte er u.a. mit, dass es im Emsland bereits 20 Millionen „Masthähnchen“ gebe und darüber hinaus Anlagen für weitere 10 Millionen beantragt seien. Wie bekannt, wehrt sich die dortige Bevölkerung gegen eine weitere Ausbreitung von Mastanlagen, daher die Absicht Rothkötters, sein „Geflügel-Imperium“ großflächig in andere Gebiete Niedersachsens auszudehnen. Nicht auszuschließen ist, dass ihm seine Konkurrenten Wiesenhof und Stolle noch folgen.

2. Tilman Uhlenhaut, BUND Niedersachsen, stellte die Auswirkungen der Mastanlagen auf die Umwelt (Wasser, Luft, Boden) dar.

Wasser: Hohe Gewässerbelastung, dabei Überschreitung der Grenzwerte insbesondere durch Stickstoffe. Jährlich werden 19.000 Tonnen Nitrat allein in Niedersachsen in die Gewässer eingeleitet, wobei per se ein hoher Eintrag legalisiert wurde. Sondergenehmigungen für das Ausbringen von Gülle auf die Felder!

Boden: Ebenfalls große Belastung durch Schadstoff-Einträge. Antibiotika sind zwar seit 2006 offiziell (als Wachstumsförderer) verboten, werden aber gleichwohl zur „Gesunderhaltung“ der Tiere eingesetzt. Über Mengen ist nichts in Erfahrung zu bringen!

Thematisiert wurde darüber hinaus der in Niedersachsen weit fortgeschrittene sog. Grünlandumbruch (Umwandlung von Moor- und Weideflächen in Ackerflächen zwecks Anbau vor allem von Mais zur Biogas-Gewinnung). Gefahr für das Klima: Grünland speichert riesige Mengen von CO2; bei der Umwandlung in Ackerland setzt der Boden daher Treibhausgase in großem Umfang frei. Der Referent im Hinblick auf die geplanten Mastanlagen und deren Auswirkungen auf das Klima: Eigentlich dürfte keine einzige mehr gebaut werden!

Luft: 550 000 Tonnen Ammoniak sind von der EU als Obergrenze in Deutschland vorgegeben. Insbesondere aufgrund der großen Anzahl von Schweinemastanlagen werden in Niedersachsen die Grenzwerte weit überschritten, was von der Landesregierung wie selbstverständlich in Kauf genommen wurde. Sie steht mittlerweile stark unter Druck. Auch in NRW breiten sich die Hühnerbarone mehr und mehr aus, wie ein Herr Ostendorf (MdB) mitteilte. Er wies auf eine Tagung zu dem Thema am 19. April hin.

3. Vera Steder, Landesvorsitzende Niedersachsen des DTB, beschrieb anhand einer umfassenden Bildsequenz die Auswirkungen der tierquälerischen Haltung auf die Tiere in den Mastanlagen: Aufgrund der hohen Besatzdichte und der schnellen Mast plötzlicher Herztod, Wassersucht, „Brustblasen“, Bein-Deformationen mit der Folge, dass keine Fortbewegung mehr möglich ist, durchweg Entzündungen unter den Füßen, Qual durch stechenden Ammoniak-Gestank usw. In weit mehr als 50 % aller Betriebe werden 50.000 bis 200.00 Tiere gehalten – bei künstlichem Dämmerlicht, in qualvoller Enge: Bis „39 kg Tiere“ pro qm2 sind erlaubt.

4. Dipl.-Ing. Knut Haverkamp, Sachverständiger für Immissionsschutz, zum Thema „Gerüche, Emissionen und Einwendungen – Rechtliche Fragen von Bürgerinitiativen gegen Agrarfabriken“:

Beeinträchtigungen für die Bevölkerung: Geruchsbelästigung, Schädigung der Gesundheit (Staub, Bakterien, Pilze, Sporen), Wertminderung der Immobilien u.v.m.

Laut Emissionsschutzverordnung ist eine Bürgerbeteiligung nur möglich bei der Haltung bis 15.000 und jenseits von 40.000 Tieren. Bei Anlagen mit 15.000 bis 40.000 Tieren bleibt die Bevölkerung völlig außen vor und erfährt erst davon, wenn die Vorhaben realisiert werden. Vom 01. März d. J. an erfahren auch die Naturschutzverbände nichts von irgendwelchen Bauvorhaben. Politisch also gewollt: Die Beteiligung der Bevölkerung wird immer mehr eingeschränkt! Rückblick auf das entscheidende Jahr 2007: Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit massiver Verschlechterung im Tierschutz; hingegen Ausweitung der Privilegien für die Investoren hinsichtlich neuer Agrarfabriken.

Ein Beschluss am 28. Januar d. J. dokumentiert, dass die Kniefälle vor den Hühnerbaronen sich mehr und mehr ins Absurde steigern: Bei der gewünschten Ausweitung der Mastanlagen stehen die Wälder im Wege, denn es ist von Gesetzes wegen ein größerer Abstand einzuhalten als bei Wohngebieten. Wichtig: Wälder können beklagt werden, was natürlich lästig ist. Daher der preiswürdige Einfall, der das Problem der Landesregierung in Kumpanei mit den Hühner-Mästern löst: Wenn bei Einhaltung der Grenzwert-Vorgaben des Emissionsschutzgesetzes die theoretische (!) Abholzung eines Waldes möglich ist, dann kann man ihn als nicht vorhanden betrachten – und hat freie Bahn. So funktioniert Demokratie!

5. Dr. Klischat, Unternehmensberater, Landwirtschaftskammer Niedersachsen, zum Thema „Chance oder Risiko? Zukunftsperspektive Hähnchenmast für die Landwirte?“ Anhand vieler Zahlen, bezogen auf die Verdienstmöglichkeiten der Betreiber von Mastanlagen durch die „Geflügel-Produktion“, wurde dem Zuhörer glasklar und emotionslos vor Augen geführt, worum es geht: Die „Ware Tier“ muss möglichst gewinnbringend vermarktet werden. Wobei seitens des Referenten nicht verschwiegen wurde, dass gerade die „Hähnchen-Produktion“ mittlerweile – vor allem aufgrund des Sättigungsgrades – nicht gerade viel Gewinn abwirft: 7 Cent pro Tier. Sowohl national als auch EU-weit liegt die Marktsättigung bei über 100 %.

6. Eckehard Niemann – Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, AbL: Vor 30 Jahren Loslösung vom Deutschen Bauernverband, der nach wie vor die Interessenvertretung der Halter von Masttierställen darstellt (Enge Verflechtung mit den Konzernen, z. B. Aufsichtsratsposten; Werbeveranstaltungen, bei denen trotz bestehender Überproduktion für mehr Fleischkonsum geworben wird). In der AbL sind viele verschiedene Verbände vertreten. Angesichts der gegenwärtig drohenden Agrarindustrialisierung Ostniedersachsens soll ein wirksames Gegengewicht geschaffen werden, indem die bäuerliche Landwirtschaft mit einer als artgerecht bezeichneten Tierhaltung umfassend gestärkt wird. Es geht um nichts weniger als die Verhinderung eines „Flächenbrandes“.

Das Programm: Freilandhaltung von Legehennen, Nutzung von Photovoltaikanlagen und Biogas, Biolandbau, Direktvermarktung. Kein Export von Überschüssen in arme Länder, wo die Märkte ruiniert werden. Keine Subventionen für Agrarfabriken.

Das Konzept: eine neue Agrarpolitik mit neuen Bündnispartnern – Bürgerinitiativen, Kirchen, Tourismusverbänden etc. Eckehard Niemann, der selbst Landwirt war, koordiniert das alternative Netzwerk und ist ein begehrter Diskussionspartner bei sämtlichen Veranstaltungen, in denen es darum geht, sich gegen die agrarindustrielle Übermacht durchzusetzen. Am Erfolg versprechendsten sind nicht nachlassende Bürgerproteste, bei der die potentiellen Lohnmäster (= Landwirte) isoliert werden. Nachdem bereits zwei von ihnen in der Nähe Salzgitters von ihrem Vorhaben Abstand genommen haben, wird auf weitere Erfolge in dieser Richtung hingearbeitet.

Die Veranstaltung in Hannover war außerordentlich wichtig, weil so etwas wie ein „Wir-Gefühl“ entwickelt werden konnte, obgleich man aus vielen verschiedenen Orten zusammengekommen war und sich kaum gegenseitig kannte. Anhand des reichhaltigen Prospektmaterials hat man die Möglichkeit, sich im Nachhinein noch näher mit den Anliegen der anderen Bürgerinitiativen vertraut machen.

Die Abwendung des geplanten „Flächenbrandes“ ist zweifellos eine Herkules-Aufgabe; umso mehr gilt das bekannte Mut machende Wort: „Gemeinsam sind wir stark!“

Margret Giese