RBB braucht die Tierschutzpartei am morgigen Wahlabend doch nicht nennen – warum dies der Demokratie Schaden zufügen kann
Das Bundesverfassungsgericht entschied heute über einen gestern eingegangen Antrag des RBB, dass Parteien über 2 % doch nicht in der Wahlberichterstattung genannt werden sollen. Das Urteil fiel unerwartet zugunsten des RBB aus, denn das Oberverwaltungsgericht hatte am Mittwoch noch entschieden, dass der Sender seinem Informationsauftrag und der abgestuften Chancengleichheit nachkommen müsse. Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts ist für die morgen stattfindende Landtagswahlberichterstattung unanfechtbar.
Der RBB argumentierte, dass das Tierschutzpartei-Ergebnis „schlichtweg unbedeutend“ sei und stellte die rund drei Sekunden, die es bräuchte, das Ergebnis zu nennen, als schwerwiegenden Eingriff in die Rundfunkfreiheit und in das Sendekonzept dar. Zudem argumentierte der RBB, dass es keinen Nachweis dafür gäbe, dass die Nennung des Wahlergebnisses der Tierschutzpartei nützen könnte und daher die abgestufte Chancengleichheit und die Interessen der Öffentlichkeit am Wahlabend nicht berücksichtigt werden müssten.
Das Bundesverfassungsgericht folgte kritiklos diesen realitätsfernen Ausführungen, was ernste Fragen aufwirft. Folgte das Bundesverfassungsgericht nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben der abgestuften Chancengleichheit? Wurden die Argumente des RBB keiner Prüfung der Lebenswirklichkeit unterzogen? Schätzt das Gericht das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit als weniger wichtig ein als das fragwürdige Bedürfnis des RBB, bestimmte Wahlergebnisse komplett unerwähnt lassen zu wollen?
Unsere Stellungnahme dazu:
- Selbstverständlich steht am Wahlabend das Interesse der Mandatszuteilung und der Koalitätsmöglichkeiten im Vordergrund. Es ist aber realitätswidrig, anzunehmen, dass die Prozente kleiner Parteien keine Rolle spielen würden bei der Berechnung der Sitze und folglich der Koalitionsoptionen. Das Gegenteil ist der Fall: eine Stimme für kleine Parteien ist durchaus relevant für Sitzverteilung und Regierungsbildungen und es ist von großem öffentlichen Interesse, welche Parteien zwar keine Sitze erhielten, aber deren prozentuales Ergebnis die Sitzzuteilung schon aus mathematischen Gründen beeinflussten. Die Sender berichten darüber auch sehr ausführlich, wenn es um mittelkleine Parteien wie DIE LINKE, FDP oder GRÜNE geht, selbst dann, wenn sie nur 1 % erhalten und unter den oft 10 % bis 20 % aller Sonstigen nicht die stärksten Parteien sind. Die Ungleichbehandlung der Tierschutzpartei erscheint manchen also eher politisch motiviert und nicht objektiven Kriterien folgend. Aber auch generell hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran, wie kleine bis mittlere Parteien bei Wahlen abschneiden.
- Selbstverständlich muss über große Parteien ausführlicher berichtet werden. Das Bundesverfassungsgericht bot jedoch keinerlei Lösungen an, die abgestufte Chancengleichheit auch bei der Wahlabendberichterstattung anzuwenden. Das Gericht folgte einfach pauschal dem Begehr des RBB. Dabei hätte es sinnvolle Möglichkeiten gegeben, die Ergebnisse der Tierschutzpartei zwischen 18 und 20 Uhr zu nennen oder zu zeigen, ohne dies bei jeder einzelnen Ergebniseinblendung vornehmen zu müssen. Etwa im Laufband oder als unkommentierter Balken im Ergebnisdiagramm.
- Selbstverständlich ist die Berichterstattung in der Wahlkampfzeit entscheidender für die abgestufte Chancengleichheit aller Parteien und muss daher auch von den öffentlich-rechtlichen Sendern gesetzlich eingehalten werden. Aber zu behaupten, die Berichterstattung am Wahlabend würde keinerlei Auswirkungen haben, hält einem Realitätsabgleich nicht stand. So konnte etwa die Piratenpartei seinerzeit vor allem erst im Nachgang von Wahlen massiv an Mitgliedern zulegen. Die Information, dass sie ein gutes Wahlergebnis erreichten, war hier ausschlaggebend. Bei anderen Parteien ist es ähnlich und entsprechend ist es bei der Tierschutzpartei vorauszusetzen. Die plumpe Leugnung dessen macht sprachlos.
- Der RBB insistiert nicht nur darauf, dass eine Nennung der Tierschutzpartei am Wahlabend den Fokus auf die wichtigen Themen verdrängen würde – was eine so klare Übertreibung darstellt, dass kein Gericht ihr ernsthaft folgen sollte – sondern der Sender setzt damit das klare Bekenntnis ab, dass er lieber sehr ausführlich über die AfD-Wahlerfolge berichtet als ein paar Sekunden über das Tierschutzpartei-Ergebnis. Tatsächlich wird im Schriftsatz des RBB unter Nennung der AfD in dieser Weise argumentiert! Wir halten dies für skandalös und weisen darauf hin, dass es für unsere Demokratie essenziell ist, die Wahlberechtigten über demokratische Alternativen zu verfassungsfeindlichen Parteien zu informieren. Die Betrachtungsweise des Senders erscheint uns als ein gefährliches Spiel mit den Fundamenten unseres Rechtsstaats.
- RBB-Chefredakteur David Biesinger verlautbarte in einer heutigen Pressemitteilung: „Inhalt und Form der Wahlberichterstattung bestimmen nicht die Parteien.“ Dies liest sich so, als hätte bei einem anderslautenden Gerichtsbeschluss eine Partei in die Sendegestaltung eingegriffen und als hätte es in diesem Falle nicht eine unabhängige Justiz entschieden. Wir weisen darauf hin, dass es hier nicht um den Streit zwischen Mitarbeitenden eines Senders und Mitgliedern einer Partei geht, sondern um verfassungsrechtlich zu klärende Sachverhalte zur Wahrung unserer Demokratie. Wir bitten den RBB trotz des ergangenen Gerichtsbeschlusses darum, die abgestufte Chancengleichheit am Wahlsonntagabend praktisch umzusetzen. In welcher Form möchten und können wir selbstverständlich nicht vorgeben, aber mangels Vorgaben und Vorschlägen seitens des Bundesverfassungsgerichts regen wir die mindestens zweimalige und mündlich wiedergegebene Einblendung eines entsprechend beschrifteten Balkens am Wahlabend, die Aufführung im Laufband sowie die Darstellung unseres Ergebnisses in Schautafeln/Sharepics der Internetauftritte des RBB an.
Abschließend und grundsätzlich: Wir fordern die Justiz und die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eindringlich auf, die abgestufte Chancengleichheit, die verfassungsgemäß zu gewähren ist, endlich umfänglich ernst zu nehmen. Die heute ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein bedauerlicher Rückschlag für das Informationsbedürfnis der Wahlberechtigten, der Noch-nicht-Wahlberechtigten (bei der U16-Wahl erzielte die Tierschutzpartei 12 %) und in einer erweiterten Perspektive leider auch für unsere demokratische Verfasstheit.
Wie geht es nun weiter? In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts heißt es „Die Programmfreiheit bedeutet ein Verbot nicht nur staatlicher, sondern jeder fremden Einflussnahme auf Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung der Programme.“ Dies wurde auch in der Pressemitteilung des RBB aufgegriffen, stimmt jedoch nicht. So gibt es u.a. die Vorgabe für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die abgestufte Chancengleichheit für alle Parteien zu wahren, womit eine „Einflussnahme“ bereits faktisch vorliegt, was durch verfassungsgerichtliche Urteile bekräftigt wurde. Die neuste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auch nur für die jetzige Landtagswahl in Brandenburg von Bedeutung und nur im Rahmen dessen, was seitens des Oberverwaltungsgerichts vorlag. Die Erfordernis, abgestufte Chancengleichheit auf die eine oder andere Weise umzusetzen, wird daher bei kommenden Wahlen voraussichtlich erneut das Thema gerichtlicher Entscheidungen sein müssen.