SCHULE – BILDUNG – INKLUSION – Eine einzige Katastrophe

Die „Bildungsmisere“ ist wieder voll im Gespräch. Besonders im Bereich Rechtschreibung zeigen sich große Defizite. Viele Kinder sind schlecht in der Rechtschreibung, sind kaum in der Lage, einen Text mit nur wenigen Fehlern zu verfassen. Auch das fehlerfreie Abschreiben klappt häufig nicht mehr.

Ein Sündenbock ist schnell gefunden, nachdem den Lehrern eine zeitlang der schwarze Peter zugeschoben wurde. Das Schreiben nach Gehör oder Lesen durch Schreiben, wie es im Bildungsbereich genannt wird. Eine Studie will nun herausgefunden haben, dass diese Methode, bei der Kinder zunächst die einzelnen Laute der Buchstaben erlernen und mit diesen erste Wörter schreiben, eine Methode, die einst sehr favorisiert wurde, weil sie motivierend und die Kreativität steigernd sein sollte, Schuld an der mangelnden Rechtschreibfähigkeit ist.

Der Ruf nach der altbewährten Fibel wird laut, auch unter Fachleuten. Ihre Wiedereinführung soll aus der Misere helfen.

Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass sich die meisten Lehrer schon längst nicht mehr an einer einzigen Methode des Schreibenlernens orientieren, sondern Vielfältigkeit in Abhängigkeit von den individuellen Bedürfnissen eines Kindes zulassen. Wer kreativ schreiben will, wird dazu ermutigt, aber auch Rechtschreibregeln werden vermittelt. Macht die Fibel wirklich alles besser?

So gibt es Stimmen, die den Fokus auf einen anderen Bereich gerichtet haben wollen: Migration und Inklusion.

Eine Lehrerin berichtet: „Marina war bei ihrer Einschulung eine Schülerin mit Sprachhemmung, gekoppelt mit einer Lernbehinderung. Beides zusammen berechtigte sie, eine sogenannte Schulbegleitung zur Seite gestellt zu bekommen, eine Person, die sie im Unterricht begleitete und unterstützte. Marina machte gute Fortschritte. In der vierten Klasse sah man seitens der Schulbehörde keine Notwendigkeit mehr dafür. Die Begleitung wurde eingestellt, Marina dümpelte hilflos vor sich hin. Inzwischen besucht sie die 5. Klasse auf einer weiter führenden Schule – einer Förderschule für Lernbehinderte.

In meiner Klasse befinden sich zurzeit 24 Kinder, davon 19 Kinder, die einen Migrationshintergrund haben. Zudem befinden sich fünf Kinder darunter, die einen besonderen Förderbedarf haben, bzw. bei denen dieser Status erstellt werden muss, z.B. Kinder mit Lern- oder auch Sprachbehinderung. Eines dieser Kinder ist ein Kind mit dem Förderschwerpunk „geistige Entwicklung“.

Melike hat eine Schulbegleiterin, die sie unterstützt, deren Unterstützung sie auch permanent in Anspruch nimmt.  Melike ist bereits nach zehn Minuten morgens im Stuhlkreis im Klassenverband überfordert, lutscht am Daumen, beginnt zu schaukeln, steht auf, stört durch Dazwischenrufen.

Melikes Förderung gelingt beinahe ausschließlich durch äußere Differenzierung, d.h., sie wird separat in einem anderen Raum beschäftigt, wobei zwei Unterrichtsstunden am Tag in einer kleinen Gruppe mit einer Sonderpädagogin erfolgen (sofern diese nicht anderweitig eingesetzt ist).

Die Klassengemeinschaft erfährt von Melike nur wenig. Ist das Inklusion? Ja, es umschreibt die derzeitige Inklusion.

Aber der Anspruch auf eine Schulbegleitung besteht nur für wenige Kinder, obwohl eigentlich viel mehr individuelle Begleitung benötigen. Dieser Anspruch muss genauestens begründet, mit ärztlichen Diagnosen und lückenloser Dokumentation, wie das Kind bisher gefördert wurde, ausgestattet sein, regelmäßig wieder neu gestellt werden.

Ein unglaublicher Verwaltungsaufwand für die Lehrkräfte. Für Kinder mit Lernbehinderung besteht kein Anspruch, für Kinder mit so genannter emotional-sozialer Entwicklungsstörung (die teilweise aggressiv sind, schlagen) besteht dieser Anspruch nur in wenigen Ausnahmefällen.

All das hat die Lehrkraft zu meistern, die in der Regel alleine in der Klasse ist. Ich weiß häufig nicht, wo ihr der Kopf steht. Da sind ja auch noch die Kinder, die zwar keinen offiziellen Förderbedarf, aber dennoch einen erhöhten Unterstützungsbedarf haben, die ihre Sachen nicht alleine zurechtlegen können, die nicht alleine arbeiten, sich nicht konzentrieren können. Und die vielen, die erst einmal die deutsche Sprache lernen müssen, die immer wieder nachfragen müssen, welche Bedeutung etwas hat. Für die, die in der Regel gut zurechtkommen, habe ich kaum Zeit.

Am schlimmsten aber ist das Gefühl, mit dem man beinahe täglich kämpft, das Gefühl, nicht genug geleistet und wieder nicht jedem Kind gerecht geworden zu sein. Die Eltern wissen oft gar nicht, was in den Schulen los ist, sonst würden sie sich nicht bei den Lehrern beschweren, sondern auf die Barrikaden gehen, und zwar dort, wo es angebracht ist.“

Dort, wo es angebracht ist… Seit Jahren beklagen Lehrerverbände und -interessengemeinschaften die „Mogelpackung“ Inklusion, beanstanden fehlende Gelder, fehlende personelle und materielle Umsetzung auch im Hinblick auf Migration und Integration, weisen auf die Missstände hin, unter denen nicht nur Lehrer, sondern auch die Kinder leiden, denen kein Raum zum Lernen bleibt, auch nicht für die Rechtschreibung.

Eine verfehlte Politik, die so viele gute Möglichkeiten zu einer Farce gemacht hat.

Aber wir müssen uns nicht sorgen: Die Fibel wird das ja ändern!

Andrea Dörner