Textilindustrie und Armutslöhne in Bangladesch

Obwohl der Staat Bangladesch mit 165 Millionen Einwohnern zu den zehn größten Staaten der Welt zählt, ist er vielen kaum ein Begriff. Das mag daran liegen, dass er geographisch beinahe vollständig von Indien umschlossen wird.

In Deutschland taucht Bangladesch oftmals dann in den Nachrichten auf, wenn sich wieder ein Unglück in einer der schätzungsweise 5000 Textilfabriken des Landes ereignet hat. Die Textilindustrie ist einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige und trägt 10% zum BIP bei. Dass 80% der Exporte Bangladeschs auf Textilien entfallen, macht klar, wie einseitig abhängig das Land von dieser Industrie geworden ist. 28 Milliarden US-Dollar setzt die Textilbranche um, die Exporte sollten bis 2021 auf 50 Milliarden steigen. Größter Handelspartner ist die EU, die jährlich Kleidung im Wert von 15 Millarden Euro aus Bangladesch importiert.

31% der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Von den 4,5 Millionen Beschäftigen in der Textilindustrie sind rund 85% Frauen, die dank des Arbeitsplatzes über ein unabhängiges Einkommen verfügen. Bis zu 20 Millionen Menschen sind von der Textilindustrie abhängig, die allerdings keinen Wohlstand in der Bevölkerung erzeugt, sondern vielmehr auf Ausbeutung gegründet ist. Beispielsweise recherchierte Oxfam, dass von einem in Australien verkauften Kleidungsstück lediglich 2% des Preises an die Näher und Näherinnen in Bangladesch gehen. Ein höherer Lohn für die Arbeiter würde sich also kaum im Verkaufspreis für den Endverbraucher niederschlagen. Dennoch setzt die Modeindustrie in den USA, Europa und anderswo weiterhin auf die Billigware und drückt die Preise, ohne sich um die Lebensbedingungen der bei den Zulieferern Beschäftigen zu kümmern.

Der Mindestlohn in Bangladesch wurde 2010 auf umgerechnet 34 Euro angehoben. Inzwischen liegt er in der Textilbranche bei etwa 50 Euro, was aber offensichtlich nicht vor Armut schützt: 2017 demonstrierten Zehntausende Beschäftigte in einem Vorort der Hauptstadt Dhaka und forderten angesichts der stetig steigenden Lebenshaltungskosten mehr als 200 Euro (16.000 Taka). Zwar existieren 16 Gewerkschaften in Bangladesch, aber sie konnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen. Die Streiks wurden schließlich durch Entlassungen und Verhaftungen gebrochen.

Zwar haben sich einerseits positive Entwicklungen gezeigt wie die Senkung der Kindersterblichkeit und eine steigende Lebenserwartung, aber andererseits häuft sich auch die Kritik an der Textilindustrie. Verstöße gegen die Menschenrechte, mangelhafte Sicherheitsstandards und schlechte Arbeitsbedingungen werden von den Arbeitern und Arbeiterinnen beklagt. So kommt es immer wieder zu Todesfällen im Falle von Bränden oder beim Einsturz von Gebäuden. Vereinzelt wurde auch vom Erschöpfungstod überarbeiteter Näherinnen berichtet.
Die Sicherheitsstandards verbessern sich hier und da schrittweise, aber die Löhne stagnieren. Die NGO „Clean Clothes Campaign“ spricht daher offen von Armutslöhnen. Während die Wirtschaft Bangladeschs im vergangenen Jahr 7% zulegte, profitiert die breite Masse der Beschäftigten davon nicht. Modeketten weltweit, die Ware in Bangladesch beziehen, machen sich so mitschuldig an den elenden Lebensbedingungen der Näher und Näherinnen. Anstatt auf eine Verbesserung von Standards und angemessene Löhne hinzuwirken, zementieren sie mit ihrer Billig-Strategie die Armut in Bangladesch.