Tiere als Rechtspersonen

Plädoyer für Gesetzesänderungen, in denen Tiere als tierliche Rechtspersonen mit Empfindungsvermögen gelten
von Susanne Kirn-Egeler, Herrenberg

 

Auf politischer Ebene geschah in Großbritannien vor einiger Zeit höchst Bemerkenswertes: Im Gesetzentwurf, den die Queen in ihrer Regierungserklärung am 11.5.2021 ankündigte, soll Wirbeltieren »Empfindungsvermögen« zugesprochen werden. Es soll betont werden, dass sie sich ihrer Gefühle und Emotionen bewusst sind. Ein bereits bestehendes Komitee im Ministerium für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten werde sicherstellen, dass sich das auch in der Politik der Regierung niederschlage. In Großbritannien soll das neue Gesetz Teil einer umfassenden Strategie sein, mit der die Regierung Tierwohlstandards erhöhen will, so der Spiegel.

Nun haben sich ja auch die EU und ihre Mitgliedstaaten im Vertrag der Europäischen Union in Art. 13 AEUV auf Folgendes festgelegt: „Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Binnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt tragen die Union und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung ….“

Dazu schreibt der Spiegel am 09.05.2021 im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf Großbritanniens: „Wie weit diese Vorgabe in der EU erfüllt wird, darüber gehen die Meinungen freilich auseinander. Vor allem bei Nutztieren ist es mit der Rücksicht auf deren Empfindungen oft nicht weit her, Kritiker sprechen von staatlich erlaubter Tierquälerei“. Wäre es nicht an der Zeit, dass Deutschland, die EU und ihre Mitgliedstaaten tatsächlich das „Wohlergehen der Tiere als fühlende Wesen“ ernst nehmen?

Dass es auch mit dem juristischen Willen bezüglich Wohlergehen der Tiere nicht weit her ist, unterstreicht auch Steffen Augsberg vom Deutschen Ethikrat: „Ich kenne jedenfalls kein Rechtsgebiet, in dem so heuchlerisch vorgegangen wird wie im Tierschutzrecht“.

Das Tierschutzgesetz bezweckt „…aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf, dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“ (§ 1 TierSchG, Grundsatz).

Steffen Augsberg ist der Ansicht, dass das Tierschutzgesetz zwar relativ tierfreundlich klingen würde, doch beim Umsetzen in konkrete Verordnungen zur Tierhaltung werde es „dann so sehr verwässert, dass es kaum noch zu erkennen ist, wenn es in der Praxis ankommt.“ Gerade beim Tierwohl sei die Kluft zwischen Gesetz und Wirklichkeit besonders groß. Tiere haben einen Eigenwert und sie haben Rechte, sagt der Professor für öffentliches Recht. Doch diese Rechte werden ihnen vom Menschen zugewiesen. Ein Tier kann sie nicht einklagen. Rechtlich gesehen befinde es sich in einer „schwierigen Zwischenstellung“ zwischen Sache und Mensch.

In der Verhaltensbiologie hat in den letzten Jahren eine Revolution des Tierbildes stattgefunden, schreibt Norbert Sachser, Professor für Zoologie und international renommierte Forscher, in seinem Buch „Der Mensch im Tier“. Diese Revolution hat weitreichende Folgen für das Verhältnis vom Mensch zum Tier. Das Tierbild der modernen Verhaltensbiologie hat in den vergangenen Jahrzehnten einen so einschneidenden Wandel erfahren, dass von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden kann. Die zeitgemäße Wissenschaft ist nämlich zu der folgenden Erkenntnis gekommen: Tiere „können denken. Sie erkennen sich selbst im Spiegel, und bei ihnen sind zumindest Ansätze von Ich-Bewusstsein vorhanden. Tiere mancher Arten haben Emotionen, die denen des Menschen bis in verblüffende Details vergleichbar sind.“ Basale Emotionen wie Furcht, Angst oder Freude sind bei Mensch und Tier von den gleichen neuronalen Schaltkreisen erzeugt und gesteuert. Es steckt also wirklich sehr viel mehr Mensch im Tier, als wir uns vor wenigen Jahren noch haben vorstellen können so Sachser (Vgl. Sachser, 2018, S. 242 ff). Bei näherer Betrachtung scheinen Tiere genauso individualisiert wie Menschen, deswegen spricht die Verhaltensbiologie mittlerweile von Tierpersönlichkeiten (Vgl. Sachser, 2018, S. 15 ff).

Auch Phillip von Gall und Carolin Raspé sind der Ansicht, dass Tiere zur Gemeinschaft der von Politik und Recht unmittelbar betroffenen Individuen gehören. Das Problem ist, dass Politik und Recht immer noch rein anthropozentrisch geprägt sind innerhalb ihrer Institutionen. Daher sind innovative Verfahren nötig, so von Gall/ Raspé, um die Ansprüche der Tiere und daraus abzuleitende Forderungen umzusetzen. Darauf wies auch der Deutsche Ethikrat 2020 hin: „Im Sinne der (…) Verantwortung ist auch nach Lösungen zu suchen, wie Tiere und ihre berechtigten Belange besser >repräsentiert< werden können“ (Tierwohlachtung – zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren, S. 61). So wäre nach von Gall und Raspé eine Vertretung vor staatlicher Institutionen, wie bei Menschen, auch für Tiere denkbar und rechtlich umsetzbar, aber bislang nicht möglich, da Tiere keine Rechtspersonen sind. Sie werden – trotz ihrer Bezeichnung als Mitgeschöpfe – immer noch wie Sachen behandelt, sie sind keine Rechtssubjekte. Deshalb brauchen Tiere eine Rechtspersönlichkeit, um Rechtsinhaber zu sein und im Rechtssystem effektiv vertreten werden zu können. Die Einführung einer tierlichen Person erfordere wegen Art. 20 a GG keine Verfassungsänderung, sondern könnte einfach gesetzlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und dem Tierschutzgesetz erfolgen.

Von Gall und Raspé schlagen Formulierungen für Ergänzungen in §90a BGB und im Tierschutzgesetz §1Abs. 2 sowie im Grundgesetz Art. 19 GG vor, wie z.B.: „Ein neuer § 90a im BGB könnte demnach lauten: „Tierliche Personen: Alle Wirbeltiere erlangen hinsichtlich der ihnen eigenen Rechte die Rechtsfähigkeit mit Vollendung der Geburt, bzw. des Schlüpfens….“

Im Grundgesetz wäre z.B. eine Ergänzung des Art. 19 GG denkbar: „(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische und tierliche Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“ (Gall/ Raspé,2021, S. 282).

Der Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper hält es für bedeutsam, den engen Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Tierrechten zu betonen, da es weltweit gilt, Mitlebewesen in ihrer Empfindungsfähigkeit und Hilfsbedürftigkeit zu achten und zu schützen. „Erst wenn Tierrechte als Ausdruck einer unteilbaren Ethik des Menschen und seiner Menschenpflichten anerkannt und mit Empathie für die Tiere umgesetzt werden kann, kann es gelingen, Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Mitwelt in heutiger Zeit und künftiger Generationen nachhaltig mit Leben zu erfüllen“ (von Loeper, 2021, S. 238). Es müssen dafür auch Instrumente und Vereinbarungen auf internationaler Ebene geschaffen werden, um die Vision einer globalen Gerechtigkeit gegenüber den Tieren mehr und mehr zu realisieren. Es muss das Menschenmögliche getan werden, um die Zerstörung der Mitwelt durch Erderwärmung, Vernichtung der Regenwälder, Zerstörung der Lebenswelten von Tieren auf diesem Planeten nachhaltig entgegenzuwirken. Diesen weiten Weg zu gehen, ist unerlässlich und unaufschiebbar. Wir dürfen die Verbrechen an der lebendigen Mitwelt und an den künftigen Generationen nicht länger tatenlos hinnehmen, so der Autor. „Mit einem weiteren Verlust der Mitwelt würden wir deren eigentlich unantastbares Recht brechen und damit nicht nur unsere menschliche Würde preisgeben, sondern auch unsere eigene Existenzgrundlage vernichten“ (von Loeper, 2021, S. 238 – 239). Das bedeutet, so von Loeper, dass um des Tieres willen und aufgrund der Pflicht gegen sich selbst der Mensch gefordert ist, den brutalen Umgang mit den Tieren aufzugeben.

Ähnlich argumentiert der Sozialwissenschaftler Thilo Hagendorff: „Man muss das, was am meisten zu verhindern versucht wird, nämlich die Thematisierung des problematischen, gewaltdurchsetzten Verhältnisses zu Tieren, zur dringlichsten Aufgabe machen…Von nichts hängt die Zukunft der Menschheit so ab wie von der Frage, ob sie es schafft, in ein neues Verhältnis zu den Tieren zu treten und ihnen gegenüber Achtung aufzubringen“ (Hagendorff, 2021, S. 14 f).

Auch Maria Geußer schreibt im Blick auf die Zukunft unseres Planeten: „Wenn wir einen globalen Konsens dafür haben, dass dieses System der Tierhaltung so nicht mehr weiterexistieren darf und ersetzt werden muss, dann wird die Lebensqualität vieler Menschen und Tiere deutlich steigen, und wir können der Biodiversitäts- und Klimakrise besser begegnen.“ Und: „Der Schutz der uns anvertrauten Tiere ist dabei kein Nebeneffekt, sondern ein Schlüsselelement“ (Geußer, 2021, S. 162).

Tierschutz ist ein globales Anliegen, betont Antoine Goetschel. Bislang fehle im Völkerrecht aber das Konzept des globalen Tierschutzes. „Neben den Bedürfnissen des Menschen und dessen Interessen an einer intakten Umwelt für menschliche Nachkommen ist jedoch auch die Linderung von Leid an sich, namentlich bei Tieren, elementar.“ Für die Durchsetzung des Tierschutzrechtes in Deutschland, der EU, der Welt ist von besonderer Bedeutung, dass Tieren eine Vertretungsmöglichkeit vor Gericht eingeräumt wird. Außerdem muss die Transparenz im Tierschutzvollzug verbessert werden, auch damit der Rechtsvollzug unter den Staaten vergleichbar wird und die Staaten ihr effektives Tierschutzniveau erhöhen können. Weiterhin ist der Auslagerung von Tierleid in andere Länder mit niedrigem Schutzniveau Einhalt zu gebieten, so der Autor (Goetschel, 2021, S. 287 ff).

Peter Singer eröffnet mit folgendem Zitat von Yuval Harari sein Vorwort im Buch: „Verantwortbare Landwirtschaft statt Qualzucht und Qualhaltung“ herausgegeben von Walter Neussel: „Tiere sind die größten Leidtragenden unserer gesellschaftlichen Entwicklung, und die Behandlung der domestizierten Tiere in der industriellen Massentierhaltung ist vielleicht eines der schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte.“ Während Singer dieses Vorwort schrieb, las er zudem die folgenden Sätze in der New York Times: „(…) künftige Generationen werden mit Schmerz und Fassungslosigkeit auf unsere Misshandlung von Geflügel und anderen Nutztieren zurückschauen. Sie werden sich fragen wie wir im frühen 21. Jahrhundert derart blind gegenüber den Grausamkeiten sein konnten (…) (Singer, 2021, S. 11).

Im Interesse künftiger Generationen von Menschen und Tieren auf diesem Planeten, muss die Politik zeitnah auf Gesetzesänderungen hinwirken, in denen Tiere als tierliche Rechtspersonen mit Empfindungsvermögen gelten.

Denn: „Der Schlüssel dafür, das Los der Tiere zu verändern, liegt in der Politik. Die Schaffung einer gegenüber den Tieren gerechten Gesellschaft, gerade auch mit Unterstützung der verschiedenen Wirtschaftsbereiche, ist eine politische Entscheidung, und genau deshalb muss die Sache der Tiere politisiert werden“ (Pelluchon, 2020, 109)

 

Quellen:
Deutscher Ethikrat: Tierwohlachtung – zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren, S. 61
Geußer, Maria: Industrielle Tierhaltung und Umweltzerstörung. Aus: Neussel, Walter (Hrsg.). Verantwortbare Landwirtschaft statt Qualzucht und Qualhaltung. 2021. München: oekom. S. 154 – 162)
Goetschel, Antoine F.: Strategien zur Tierleidminderung über den Weg globaler Gesetzgebung. Aus: Neussel, Walter (Hrsg.). Verantwortbare Landwirtschaft statt Qualzucht und Qualhaltung. 2021. München: oekom. S. 287 – 297
Hagendorff, Thilo: Was sich am Fleisch entscheidet. Marburg: Büchner. 2021.
Pelluchon, Corine. Manifest für die Tiere. 2020. München: Beck.
Reifenberg, Kurt, DipECLAM / Vorl9-Schmerzen-Leiden-Schaden-1.pdf
Sachser, Norbert. 2018. „Der Mensch im Tier“. Hamburg: Rowohlt.
Singer, Peter. Vorwort von Peter Singer. Aus: Neussel, Walter (Hrsg.). Verantwortbare Landwirtschaft statt Qualzucht und Qualhaltung. 2021. München: oekom. S. 9 ff.
Von Gall, Phillip und Carolin Raspé: Tiere brauchen Vertreter:innen im Recht und in der Politik. Aus: Neussel, Walter (Hrsg.). Verantwortbare Landwirtschaft statt Qualzucht und Qualhaltung. 2021. München: oekom. S. 279 – 286.
Von Loeper, Eisenhart: Warum die Tierethik kraft Verfassungsrang unaufschiebbare Konsequenzen verlangt. Aus: Neussel, Walter (Hrsg.). Verantwortbare Landwirtschaft statt Qualzucht und Qualhaltung. 2021. München: oekom. S. 229 – 239.
Tiere haben Gefühle – sagt jetzt auch die Regierung Johnson (SPIEGEL)
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