Wieder nur Bewährungsstrafen – trotz massiver Tierquälerei!

Siehe BR24 vom 14.12.2021: „Tierschutz-Verstöße in 43 Fällen: Dafür wurden drei Landwirte aus dem Oberallgäu jetzt zu Bewährungsstrafen verurteilt. Viele Rinder mussten notgeschlachtet werden, nachdem sie wochenlang unter gesundheitlichen Problemen gelitten hatten.“

Die Bewährungsstrafen im Allgäuer Tierskandal sind eindeutig viel zu wenig!

Eine Stellungnahme unseres Landesverbands Bayern zu den Ereignissen:

Erneut ein Fall von entsetzlicher Tierquälerei in einem bayerischen Tierhaltebetrieb, der in mehrfacher Hinsicht bezeichnend für den skandalösen Umgang mit sogenannten „Nutztieren“ in der Massentierhaltung ist. Aufdeckt hatte die Missstände die SOKO Tierschutz. V.a. deren investigative Recherchen haben dazu beigetragen, dass die zuständigen Behörden und die Polizei sich veranlasst sahen, etwas gegen die unsäglichen Zustände in dem Allgäuer Milchviehbetrieb zu unternehmen. Dass die festgestellte massive Tierschutzverletzung in einem Allgäuer Milchviehbetrieb kein Einzelfall, sondern leider ein Fall von vielen ist, belegt u.a. die Tatsache, dass die Polizei im Allgäu eine 30-köpfige Sonderkommission eingerichtet hat und bei einer groß angelegten Razzia gleich mehrere Allgäuer Milchbetriebe auf Tierrechtsverstöße hin kontrollierte.

Exemplarisch werden an diesem schlimmen Fall von Tiermisshandlung wirtschaftliche (a), gesellschaftliche (b), juristische (c) und politische (d) Fehlentscheidungen und Versäumnisse offenbar.

(a) Prinzip: „Wachse oder Weiche“
Laut Staatsanwaltschaft war ein wesentlicher Grund für die überfordernde Situation in dem landwirtschaftlichen Familienbetrieb, dass sie ihren Tierbestand von 180 auf 600 erhöht hatte. „Wachse oder Weiche“ war hier offenbar wieder einmal der ausschlaggebende Beweggrund für die fatale Entscheidung der verurteilten Landwirte.
Nach wie vor haben in unserer Land- und Viehwirtschaft wirtschaftliche Interessen Vorrang vor dem Tierwohl. Das System „Massentierhaltung“ wird, wenn man Umfragen glauben darf, zwar von einem Großteil der Bevölkerung als tierquälerisch abgelehnt und als unzeitgemäß betrachtet, dennoch setzt weder in der Landwirtschaftspolitik noch bei den Verbraucher:innen ein größeres Umdenken ein. An dem hohen Konsum von Milch- und billigen Fleischprodukten hat sich bislang – trotz der Umfrageergebnisse – kaum etwas geändert.

(b) Zu spätes und zögerliches Eingreifen von behördlichen Stellen
Laut Staatsanwaltschaft waren die Landwirte ihren Pflichten als Tierhalter nachweislich nicht nachgekommen und über Jahre hinweg negativ aufgefallen. Man fragt sich daher, wie es sein kann, dass erst nach so langer Zeit und trotz des Umstandes, dass bei Kontrollbesuchen die angeklagten Landwirte „großes Desinteresse“ am Wohl der Tiere gezeigt haben, keine Sofortmaßnahmen zum Schutz der Tiere ergriffen wurden. Warum konnte das für die Einhaltung der Tierschutzauflagen verantwortliche Veterinäramt den Landwirten die Weiterführung ihres Betriebes auf Grund dieses Umstandes und der festgestellten schlimmen Zustände nicht untersagen? Musste das Landratsamt wirklich so lange mit dem Eingreifen warten, bis 5 Tiere in einem so schlechten Gesundheitszustand waren, dass sie bei einem wiederholten Kontrollbesuch durch die Tierärztin sofort eingeschläfert werden mussten?

(c) Tierhalter ohne wirkliches Interesse am Schicksal ihrer Tiere
Laut Anklageschrift musste jedes Tier in dem Familienbetrieb über längere Zeit hinweg anhaltende Schmerzen und Leiden ertragen, ohne dass die Angeklagten die erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben. Hier stellt sich grundsätzlich die Frage, wieso es in unserer Gesellschaft erlaubt sein kann, dass Menschen Tiere halten können, denen es an Wissen bzgl. einer artgerechten Tierhaltung fehlt. Und es irritiert immer wieder, wie viele Menschen offensichtlich nicht in der Lage sind, Mitgefühl für Tiere aufzubringen und denen es gleichgültig ist, ob sie an Schmerzen oder Hunger leiden. Allgemeiner gefragt, woher kommt diese Gleichgültigkeit in unserer Gesellschaft v.a. gegenüber dem beklagenswerten Schicksal der sogenannten „Nutztiere“? Warum haben wir so wenig Hemmung, sie für unsere egoistischen Interessen zu missbrauchen? Es ist leider ein erschreckender Verlust an natürlicher Empathie für unsere Mitgeschöpfe zu beklagen.

(d) Juristisch fehlerhafte Bemessung der Strafe
Das Gericht hat die Landwirte lediglich zu Bewährungsstrafen und zu einer Geldbuße von 7.800 € verurteilt. Die relativ geringe Strafe begründen die Richter damit, dass die Tierhalter keine „aktive Tierquälerei“ betrieben hätten, sondern „nur“ unterlassene Hilfeleistung. Beides ist aber im Endeffekt das Gleiche. In seinen Auswirkungen gibt es nämlich keinen Unterschied zwischen Unterlassen und Handeln. Wie auch immer wir uns verhalten, immer ist es ein Handeln. Daher hätte das Gericht die unterlassene Hilfe der Landwirte auch als „aktive Tierquälerei“ einstufen und ein höheres und angemessenes Strafmaß verhängen müssen.

(e) Verfehlte Landwirtschaftspolitik
Nach wie vor werden durch die deutsche und europäische Landwirtschaftspolitik tierquälerische und umwelt- sowie klimaschädliche Tierhaltungsbetriebe subventioniert. Unser sogenannter „Rechtsstaat“ und die EU werden ihrer Lenkungsfunktion, ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und Fürsorgepflicht sowohl den Menschen als auch den Tieren gegenüber immer noch nicht gerecht. Wieso wird z.B. tier- und umweltschädliche Kuhmilch mit einem MwSt.-Satz von nur 7 % und gesündere, umweltverträgliche pflanzliche Milch, z.B. aus Hafer, mit 19 % MwSt. belegt? Obwohl es zu den wesentlichen Aufgaben unseres Staates gehören müsste, die Interessen der Schwachen und Wehrlosen in unserer Gesellschaft – zu denen auch die Tiere gehören – ausreichend zu schützen, begünstigt er vielmehr durch seine falsche Landwirtschafts-, Subventions- und Steuerpolitik deren enormes Leid.

Dies ist auch der Grund, weshalb der hier öffentlich gemachte Tierrechtsverstoß nur einer von vielen ist; er ist nur einer, der dank der unverzichtbaren Recherche von SOKO Tierschutz aufgedeckt wurde. Die meisten finden hinter verschlossenen Stall- und Schlachthofstüren statt.