Offener Brief zur Fuchsjagd in NRW

An die Staatskanzlei und das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen wurde am 19. Juli 2023 ein offener Brief von über 40 Aktiven aus verschiedenen Organisationen verfasst, die im Netzwerk Fuchs zusammengeschlossen sind. Als Landesverband NRW stehen wir vollständig hinter diesen Forderungen und werden diese auf allen Ebenen begleiten und unterstützen.

 

Schliefenanlagen, Fuchsjagd, Novellierung Landesjagdgesetz:
Schreiben des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.06.2023, Aktenzeichen III.4 63.08.03..09-000001

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst, sehr geehrte Frau Ministerin Gorißen,
wir bedanken uns für Ihre Rückmeldung an Frau Rautenberg zu unserem Anliegen. Anlässlich des Gerichtsverfahrens zur Schliefenanlage in Lemgo-Vossheide bitten wir Sie, die Ausbildung von Hunden an lebenden Füchsen in Schliefenanlagen für die Baujagd und auch die Baujagd selbst zu beenden, denn beides ist mit erheblichem Tierleid verbunden und entbehrt jeglicher Notwendigkeit:
In NRW sind uns rund 20 Schliefenanlagen bekannt, in ganz Deutschland sind es mehr als 100. Schliefenanlagen sind mitnichten für die Ausübung der Jagd auf Füchse notwendig – wobei auch die Fuchsjagd insgesamt nicht notwendig ist. In Nordrhein-Westfalen werden 3 bis 5 % der Gesamtstrecke an Füchsen bei der Baujagd erlegt. Die Baujagd spielt somit jagdlich eine geringe Rolle, weshalb auch die Schliefenanlagen jagdlich unbedeutend sind. Die Notwendigkeit des Trainings in Schliefenanlagen entfällt mit der Abschaffung ihres Zwecks, der Baujagd.
Schliefenanlagen sind mit Tierquälerei in erheblichem Ausmaß verbunden. Das Video des Fuchses im Kessel der Schliefenanlage Lemgo-Vossheide, aufgenommen im Jahr 2018 im Auftrag des Veterinäramtes des Kreises Lippe, zeigt die extreme Angst des Tieres mit allen äußerlich sichtbaren Symptomen (Zittern, schneller Puls, weit aufgerissene Augen, Zusammenzucken und zeitweise apathische Zustände). Es ist davon auszugehen, dass der Fuchs die Situation im Kessel der Schliefenanlage als lebensbedrohlich wahrnimmt. Es ist keine Gewöhnung an Situationen der Todesangst möglich, das gilt für Füchse ebenso wie für Menschen, da das Stresssystem weitgehend identisch ist.

Der Hund hat in der Schliefenanlage die Aufgabe, den Fuchs im Kessel fünf Minuten lang zu verbellen. Fuchs und Hund sind zwar durch einen Schieber voneinander getrennt, aber nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Der Fuchs hört und riecht den Hund und ist deshalb bei jeder Übung und Prüfung einer extremen Angst- und Stresssituation ausgesetzt. Pathologische Verhaltensstörungen wie Bewegungsstereotypen und stark gesteigerte Aggression sind vielfach bei Schliefenfüchsen belegt. Ebenso ist mehrfach belegt, dass die Haltung der Füchse zumeist nicht den geltenden Anforderungen entspricht und dass Angaben zu Alter und Herkunft der Füchse in mehreren Fällen gefälscht oder manipuliert worden sind. Jüngere Beispiele sind die Schliefenanlagen Lemgo-Vossheide, Hanau-Klein Auheim oder Kasendorf bei Kulmbach. Hier besteht ein erhebliches Kontrolldefizit. Die Zwinger weisen selten die erforderlichen 80 m² auf und die Füchse haben kaum Rückzugsmöglichkeiten, sowie Materialien zur Beschäftigung und Spiel oder Möglichkeiten zum Graben. Der Haltungs- und Daseinszweck der Schliefenfüchse ist nicht förderlich für ihre respektvolle Behandlung: Sie dienen als Trainingsobjekte für die Tötung ihrer Artgenossen.

Die gängige Argumentation, dass eine Hundeausbildung für die Baujagd nur am lebenden Fuchs möglich sei, ist nicht haltbar: Die Baujagd ist klar tierschutzwidrig (s. u.) und jagdlich überflüssig (s. o.), sie verstößt gegen das Tierschutzgesetz, insbesondere gegen § 1 und § 3 Abs. 7 TierSchG und ist deshalb zu verbieten. Der Tierschutz ist seit 2002 in Deutschland Staatsziel mit Verfassungsrang. Sämtliche Rechtsprechung zu den Themen Schliefenanlagen und Baujagd stammt aus der Zeit davor und hält den heutigen juristischen Anforderungen damit nicht mehr stand.

Das Ziel bei der Baujagd ist eigentlich das Hinaustreiben des Fuchses aus dem Bau durch den Hund („sprengen“). Es ist jedoch vielfach belegt, dass häufig der Fuchs im Bau durch den Hund gestellt wird und es zu schweren Kämpfen kommt. Dies bestätigt z. B. Dr. Dr. Martin Balluch, der bei etwa 50 Baujagden zugegen war. Die Baujagd ist tierschutzwidrig und verstößt laut Stellungnahme der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht klar gegen das Tierschutzgesetz (https://djgt.web19.s60.goserver.host/wp-content/uploads/2020/11/sonstiges7.pdf). Die Auseinandersetzung zwischen Hund und Fuchs bzw. Hund und Dachs kommt so häufig vor, dass umfangreiche Vorsorge betrieben wird und ein Erste-Hilfe-Set für den potenziell schwerverletzten Hund mitzuführen ist. Auch bei „erfolgreichem“ Hinaustreiben („Sprengen“) kommt es zu erheblichem Leid für Füchse. Laut einer Untersuchung sind 50 % der schnell flüchtenden Tiere nicht sofort tot, sondern werden angeschossen (Fox et al. 2005: Wounding rates in shooting foxes Vulpes vulpes), Animal Welfare, Volume 14, Issue 2, S. 93-102.).

Über die Baujagd hinaus ist die Fuchsjagd insgesamt sinnlos und kontraproduktiv. Der Fuchs ist ein zentral bedeutender Prädator, der viele wichtige Funktionen im Ökosystem erfüllt. Es gibt nach wie vor keine Belege für einen positiven Einfluss der Prädatorenbejagung bzw. des „aktiven Prädatorenmanagements“ auf Wiesenvögel und andere Bodenbrüter. In den häufig genannten Beispielgebieten Dümmerniederung und Bremer Blockland werden zeitgleich mit einer intensiven Bejagung von Füchsen und anderen Beutegreifern („Prädatorenmanagement“) umfangreiche Lebensraumverbesserungen durchgeführt. Die Effekte von Beidem auf die Populationen der Wiesenbrüter lassen sich nicht voneinander trennen und werden gern miteinander vermengt.
Die ökologischen und epidemiologischen Argumente für die Fuchsjagd sind leicht zu widerlegen. Sie werden dennoch häufig zu ihrer Rechtfertigung vorgebracht. Zahlreiche Artikel und Statements in den Jagdmedien belegen jedoch, dass es bei der Fuchsjagd vor allem um Freude, Spannung und Herausforderung geht. Ein Beispiel ist das Zitat von Karl Walch (Präsident des Jagdgebrauchshundeverbandes) von 2019 in einem Video zur Fuchsjagd am Kunstbau: „Fuchsjagd macht Freude. Es ist eine schöne Sache, den Fuchs zu bejagen. Es ist eine spannende Jagd und eine Jagd mit einer guten Beute“ (https://www.pirsch.de/jagdpraxis/fuchsjagd-am-kunstbau-baujagd-fuchsbau-bejagen-fox-hunting-26652).

Wir bitten daher die Landesregierung von NRW: Bitte werden Sie ihrer Verantwortung für das Staatsziel Tierschutz gerecht und verbieten Sie die Baujagd ohne Ausnahme und verbieten Sie zugleich die Hundeausbildung in Schliefenanlagen, die sich mit dem Verbot der Baujagd ohnehin erübrigt. Ermöglichen Sie einen Wandel, statt an einer rechtswidrigen und nicht mit unseren Staatszielen konformen Tradition festzuhalten.

Müssten wir nicht vielmehr die Durchführung als die Abschaffung der Fuchsjagd faktisch legitimieren?
Dr. Sophia Kimmig 2021 in ihrem Buch „Von Füchsen und Menschen“

 

Unterzeichnet von:
Netzwerk Fuchs (Zusammenschluss von über 40 Aktiven aus verschiedenen Organisationen)
Prof. Dr. Josef Reichholf (Zoologe, Evolutionsbiologe, Ökologe)
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer (Tierethiker, Buchautor und Tierarzt)
Dr. Dr. Martin Balluch (Tierethiker und Tierrechtsaktivist, aktueller Träger des Peter-Singer-Preises)
Prof. Dr. Kurt Kotrschal (Verhaltensforscher und Buchautor)
Christian Ehrlich (TV-Artenschützer, Geschäftsführer der Promis für Tiere gGmbH)
Peter Carstens (GEO-Reporter und Buchautor)
Peter Wohlleben (Förster und Buchautor)
DJGT (Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht) (Christina Patt, Juristin)
Kathrin Herrmann (Berliner Landesbeauftragte für den Tierschutz)
Marita Marschall (Schauspielerin) & Ulrich Bender (WAILD.net)
Peter Hübner (Tierrechtsorganisation MgT e.V.)
Guido Meyer (Wildlife-Fotograf, Pressefotograf, Blogger)
Dr. Kirsten Tönnies (Veterinärin)
Dr. Mathilde Laininger (Hauptsache Waschbär e. V., aktueller Preisträger Tierschutzpreis Berlin)
Helmut Sütsch (Tierfilmer, Schwerpunkt Fuchs)
Robin Jähne (Biologe, freier Journalist, Naturfilmer und -fotograf, Künstler)
Dr. Karl-Heinz Loske (Biologe, Ökologe)
Aktionsbündnis Fuchs
Wildtierschutz Deutschland e. V. (Lovis Kauertz)
Wildtierschutz Deutschland Sektion Niedersachsen & Aktionsbündnis Pro Fuchs Niedersachsen (Thomas Mitschke und Carola Hagemeier)
Wildtierschutz Deutschland Sektion Hessen und Bürgerinitiative Pro Fuchs Hessen (Necla von Gartzen, Claudia Ward)
WITAS (Wildtier- und Artenschutz) (Hartmann Jenal)
Bürgerinitiative Pro Fuchs Deutschland (Johann Beuke, Manuela Schleußner, Gabriele Etgeton)
Bürgerinitiative Pro Fuchs Rhein-Neckar (Gaby & Patric Strasser)
Unsere Hände für viele Pfoten e. V. (Marianne Rautenberg)
Bürgerinitiative Schliefenanlagen schließen (Lemgo) (Michaela Latzel)
BUND Kreis Lippe (Stephan Culemann)
Wildtierhilfe NRW (Sandra Swart)
Natur ohne Jagd e. V. (Rudi Pohlenz)
NABU Duisburg (Anne & Thomas Stroh)
NABU Heidekreis (Dr. Antje Oldenburg & Klaus Todtenhausen)
Tierschutzverein Düsseldorf (Monika Piasetzky, Nicole Walther)
Tierretter.de e. V. (Bernd Bünker)
Kerstin Löwenstein (Dipl. Forstwirtin, Mitglied Kreistag Wesel)
Susanne Schilling (ehemalige Leiterin Tierheim Kulmbach)
Rainer Pohlen (Pohlen & Meister, Mönchengladbach, bundesweite Strafverteidigung)

 

(se)