Der Wolf in Deutschland – Fakten statt Panikmache

Die Diskussion um den Wolf in Deutschland wird immer hitziger und verleitet die Politik zu grotesken Schnellschüssen. Dabei wird gezielt oberflächlich argumentiert und mit instinktiven Ängsten der Bevölkerung gespielt. Es scheint daher angebracht, einige nüchterne Fakten zusammenzustellen, um in Sachen Wolf wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzugelangen.

Natürlicher Verbreitungsraum

Der Wolf ist ein wichtiger Bestandteil der weltweiten Biodiversität. Bis zu seiner systematischen Ausrottung war er in ganz Europa verbreitet. Auch Deutschland war seine Heimat, aber 1904 wurde der letzte Wolf geschossen. Im Jahr 2000 dann die Sensation: der Wolf siedelt sich wieder in Deutschland an. Ein Erfolg für den Tier- und Naturschutz. Seither haben sich die Rudel weiter ausgebreitet und durchstreifen vor allem Reviere in Ostdeutschland. Wölfe tragen aktiv dazu bei, Wildbestände zu vitalisieren und das natürliche Gleichgewicht eines Ökosystems zu erhalten.

Bestandsgrößen

Im Bundesgebiet werden derzeit 73 Wolfsrudel vermutet, überwiegend noch im Osten Deutschlands. Hinzu kommen 30 Wolfspaare und drei Einzeltiere. Die bis November 2018 gesammelten Daten lassen auf 213 bis 246 ausgewachsene Wölfe schließen. Das Bundesumweltministerium geht von insgesamt 400 Wölfen aus. Die hingegen vom Deutschen Jagdverband (DJV) verbreitete Zahl von „1000 Wölfen“ oder die Schätzung des Bauernverbands mit „970 bis 1300 Wölfen“ entbehren jeder Grundlage.

Deutschland bietet dem Wolf theoretisch Raum für etwa 440 Rudel mit 2000 Tieren, so das Bundesamt für Naturschutz. Eine andere Modellrechnung sieht sogar Potential für bis zu 1200 Rudel, was 6000 Wölfen entspräche. Der günstige Erhaltungszustand, bei dem die Population stabil bleibt und der Lebensraum für den Wolf ausreichend groß ist, konnte bisher nicht verlässlich ermittelt werden. Eine Mindestpopulation von 1000 erwachsenen Tieren gilt jedoch als unerlässlich, um den Wolf für Deutschland zu erhalten.

Gesetzeslage

Stellt sich die Frage einer Bejagung des Wolfes schon deswegen nicht, weil die Bestandszahlen viel zu gering sind, so ist der Abschuss von Wölfen außerdem durch zahlreiche Gesetze streng verboten. Der Wolf genießt einen Dreifach-Schutz:

1. Internationales Recht: Washingtoner Artenschutzabkommen (Anhang II), Berner Konvention (Anhang II)
2. Europäisches Recht: EG-Verordnung 338/97 (Anhang A), Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG (Anhang II, IV)
3. Deutsches Recht: Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), §44

Die Umsetzung des Rechtes ist Ländersache, wobei der Wolf nur in Sachsen dem Jagdrecht unterliegt. Für ihn gilt aber eine ganzjährige Schonzeit. Seit der ersten Wolfssichtung wurden dennoch nachweisliche 46 Wölfe vorsätzlich und damit illegal getötet, acht von ihnen allein im vergangenen Jahr. 35 Wölfe wurden 2018 Opfer eines Verkehrsunfalles. Hierdurch wird das Wachstum der deutschen Wolfspopulation zu einem Teil relativiert.

Deutschlands neues „Wolfsmanagement“

Die Bundesregierung vereinfacht nun durch eine Abänderung des Bundesnaturschutzgesetzes das Töten von Wölfen. Als ausreichender Grund für die „Entnahme“ gilt nun „ernster“ wirtschaftlicher Schaden: das zweimalige Überwinden von Zäunen in zwei Wochen.

Dann darf ein Antrag auf das Töten von Wölfen gestellt werden. Dabei muss nicht mehr einwandfrei festgestellt werden, welcher Wolf für einen Riss verantwortlich ist und als auffälliges Individuum bejagt werden sollte. Es können einfach ohne Rücksicht auf den Zustand der Rudel so lange Wölfe geschossen werden, bis die Vorfälle nachlassen. Eine Art Sippenhaft für den deutschen Wolf.

Zwar bedarf jeder Abschuss einer erneuten Bewilligung, aber die stellt nun nicht mehr das jeweilige Umweltministerium der Länder aus, sondern die Landkreise (oder kreisfreien Städte) selbst. Die „Schutzjagd“ wird dann von den Jägern in die Tat umgesetzt.

Wirtschaftliche Schäden

Es gelingt Wölfen vor allem dann, Tiere zu reißen, wenn die Halter sich noch nicht auf die Anwesenheit der intelligenten Beutegreifer eingestellt haben. Sobald ausreichende Herdenschutzmaßnahmen durchgeführt werden, gehen die Schäden merklich zurück. Auffällig ist, dass wiederholt dieselben Herden und Halter betroffen sind, während andere gänzlich unbehelligt bleiben.

In Deutschland wurden 2017 pro Wolfsübergriff im Schnitt 3,6 Tiere getötet, meist handelt es sich dabei um Schafe oder Ziegen. 472 Angriffe führten so 2017 zu etwas mehr als 1667 getöteten Tieren. Der gesamte Bestand an „Nutztieren“ in Deutschland liegt bei mehr als 1,5 Mio. Tieren. 2018 wurden 127.000 Schafe und 21.000 Ziegen geschlachtet. Von den Wölfen geht also keine existenzgefährdende Bedrohung für die Halter aus.

Die „Nutztier“-Schäden konzentrieren sich vor allem auf Sachsen-Anhalt (214 Risse), Sachsen (278 Risse) und Niedersachsen (551 Risse). Auch wenn die Schäden in den vergangenen Jahren deutlich zunahmen, ist der Trend nicht unumkehrbar. 2018 waren die Zahlen in Niedersachsen schon wieder rückläufig, 123 Wolfsangriffen fielen nur 301 „Nutztiere“ zum Opfer.

Für die entstandenen finanziellen Verluste werden die Halter zu 100% entschädigt. 2016 beliefen sich diese Ausgleichszahlungen auf 140.000 Euro. Seit der Wolf in Deutschland wieder heimisch geworden ist, summieren sich die Kosten aufgrund dieser „Billigkeitsleistungen“ auf etwas mehr als 750.000 Euro (Stand Sommer 2017). Im Vergleich zu anderen Tierarten richtet der Wolf damit nur äußerst geringen Schaden an. Zum Vergleich: der Marder verursacht jedes Jahr Schäden in Höhe von 70 Mio. Euro.

Herdenschutz

Das Töten von Wölfen stellt allenfalls eine vorübergehende Erleichterung dar, da schnell neue Rudel in freigewordene Reviere wechseln. Nur der Herdenschutz ist dazu geeignet, das Risiko eines Wolfsangriffs auf „Nutztiere“ dauerhaft auf ein Minimum zu beschränken. Er gehört zur guten fachlichen Praxis der „Nutztier“-Haltung, wird aber oft von den Haltern vernachlässigt.

Zu den wirkungsvollsten Präventionsmaßnahmen zählen verbesserte Zaunsysteme. Beim Elektrozaun stehen die Litzen unter Spannung und sollten schon 20 cm über dem Boden beginnen. Es wird eine Höhe von 120 cm empfohlen sowie ein Untergrabschutz von 30 cm Tiefe. Für größere Herden empfiehlt sich die zusätzliche Anschaffung von Herdenschutzhunden. Wo dem Herdenschutz die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet wird, gibt es deutlich weniger Übergriffe auf „Nutztiere“.

Die Ausgaben für Präventionsmaßnahmen werden zu 100% von den Ländern gefördert, so dass den Haltern keine Kosten entstehen. 2017 wurden bundesweit zur Vorbeugung gegen Wolfsangriffe 1,32 Millionen Euro Verfügung gestellt.

Es sind allerdings weitaus größere Ausgaben notwendig. Allein um alle Schafherden wirkungsvoll vor Wölfen zu schützen, müssen 26.500 Kilometer an Sicherheitszäunen neu gezogen werden, was rund 16,5 Millionen Euro kosten wird. Außerdem würden rein rechnerisch 17.150 Herdenschutzhunde benötigt, deren Anschaffung mit 51,4 Millionen Euro zu Buche schlägt. Solange beim Herdenschutz noch solch eklatante Lücken bestehen, erübrigt sich jede Diskussion über das Töten von Wölfen.

Gefahr für den Menschen

„Jede Nacht hören wir sie heulen“, beklagen sich Deutsche, die in der Nähe von Wolfsrevieren wohnen. Sie bringen damit ihre Urangst vor dem Wolf zum Ausdruck, die ungebrochen scheint. Dies ist verständlich, da wir jahrzehntelang ohne den Wolf gelebt haben. Mitunter durchqueren Einzeltiere und Gruppen abgelegene Höfe oder Ortschaften. Damit ist uns der Wolf wieder sehr nahegekommen.

Hieraus allerdings reflexartig eine akute Gefahr für Menschen abzuleiten, wäre vollkommen verfehlt. Der Wolf ist ein risikoscheues und vorsichtiges Tier. Er erkennt im aufrecht gehenden Menschen einen anderen, gefährlichen Räuber. Der Mensch ist für ihn keine Beute und er bleibt daher auf Abstand.

Seit der Wolf wieder in Deutschland heimisch geworden ist, kam es zu keiner einzigen Attacke auf Menschen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird das auch so bleiben: weltweit sind Wolfsangriffe auf Menschen extrem selten. In ganz Europa wurden seit 1950 neun Menschen von Wölfen getötet und das überwiegend dann, wenn das Tier an der wesensverändernden, aggressiv und bissig machenden Tollwut erkrankt war.

Gegner der Wölfe

Wie obige Ausführungen recht eindrücklich belegen, gibt es keinen rationalen Grund, dem Wolf an den Kragen zu wollen. Dennoch hat sich in Deutschland eine Phalanx von Wolfsgegnern formiert, die darauf drängt, schnell so viele Wölfe wie möglich zu töten. Es ist ihnen gelungen, die Politik zu einer Erleichterung des Abschusses von Wölfen zu drängen.

• Deutscher Jagdverband Seine Motive für das Agitieren gegen den Wolf sind recht schnell durchschaubar. Zunächst einmal sind Jäger dankbar für jedes neue Tier, das sie schießen dürfen. Denn das Töten ist ihre Leidenschaft. Die Feindschaft gegenüber dem Wolf geht aber tiefer, denn als natürlicher Jäger macht er dem Jagdverband in seinem ureigenen Fachgebiet Konkurrenz. Wenn Wolfsrudel den Wildbestand in deutschen Wäldern erfolgreich regulieren, dann hat der Jäger weniger zu schießen. Der Wert seiner Pacht sinkt. Womöglich braucht es dann einmal vielerorts gar keine Jäger mehr. Also will der Verband den Wolf so schnell wie möglich wieder loswerden.

• Deutscher Bauernverband Eine Festlegung wolfsfreier Gebiete soll die Weidetierhaltung vor dem Wolf schützen. Diese Vorstellung entspricht dem von unserer industriellen Landwirtschaft propagierten Monotonie-Konzept: entweder, oder – ein Miteinander ist unerwünscht. Realistisch ist der Vorschlag allerdings nicht, denn in freiwerdende Reviere rücken laufend neue Wölfe nach. Ergebnis wäre das ununterbrochene Abschlachten von Einzeltieren und ganzen Rudeln, die unbewusst in die „Todeszone“ vordringen.

• Schaf- und Ziegenzuchtverbände Aufgrund ihrer großen wirtschaftlichen Probleme setzt die Weidetierhaltung auf die Forderung möglichst hoher Finanzierungen und Kompensationen. Das nun überall einsetzende „Wolfsmanagement“ bietet einen aussichtsreichen Ansatzpunkt, um Gelder zugesprochen zu bekommen. Dabei gilt für viele Halter die Logik: je mehr Risse, desto größer die Gefahr, die dann mit viel Mitteln aus dem Landeshaushalt bekämpft werden muss. Möglicherweise ist das der Grund, warum über den Grundschutz hinaus viele Halter bisher keine weiteren Maßnahmen getroffen haben.

Alle diese Gruppen argumentieren verklausuliert mit der Schaffung von mehr „Rechtssicherheit“, einer einheitlichen, „konsequenten Regulierung“ und dem Ruf nach „aktivem Wolfsmanagement“. Faktisch läuft es aber immer auf das Gleiche hinaus: den Abschuss der Wölfe. Anstatt die Grundlage für eine Koexistenz von Wolf und Mensch in Deutschland zu schaffen und einen gesunden Bestand heranwachsen zu lassen, wird die Ausbreitung des Wolfes von vornherein zum Problem erklärt und ihm der Krieg erklärt. Das eigentliche Problem aber ist der Mensch, die bisher mangelhaften Schutzmaßnahmen und unsere fehlende Bereitschaft zur Akzeptanz.

Links:

Natürlicher Verbreitungsraum

https://chwolf.org/woelfe-kennenlernen/oekosystem/wolf-als-teil-des-oekosystems
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/wissen/18886.html

Bestandsgrößen

https://www.noz.de/deutschland-welt/niedersachsen/artikel/1593151/neue-zahlen-wie-viele-woelfe-leben-in-deutschland
https://www.tagesschau.de/inland/wolf-kabinett-101.html
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wolf-ein-entwurf-des-umweltministeriums-will-abschuss-vereinfachen-a-1268408.html
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/woelfe-in-deutschland-wie-viele-rudel-vertraegt-das-land-a-1209993.html
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/wolf-streit-ueber-umgang-bei-anhoerung-im-bundestag-a-1203617.html

Gesetzeslage

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/wissen/19297.html
https://www.forum-natur.de/media/afn_handlungsvorschlag_wolf_hoch_16_01_19.pdf

Deutschlands neues „Wolfsmanagement“

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/neue-regeln-fuer-den-wolf-1613622
https://www.agrarheute.com/wochenblatt/politik/wolf-entnahme-ernsten-landwirtschaftlichen-schaeden-554130

Wirtschaftliche Schäden

https://www.dbb-wolf.de/wolfsmanagement/herdenschutz/schadensstatistik
https://www.mdr.de/nachrichten/vermischtes/mehr-wolfsrisse-100.html
https://www.weser-kurier.de/region/niedersachsen_artikel,-schaeden-durch-woelfe-werden-mit-euhilfen-ersetzt-_arid,1799883.html
https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/tiere/id_81943224/wolf-verursacht-vergleichsweise-wenig-schaden.html
https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/tiere/id_84285662/dramatisches-wolfsjahr-von-woelfen-verursachte-schaeden-steigen-rasant.html
https://www.quarks.de/umwelt/tierwelt/schafe-welchen-schaden-verursacht-der-wolf/
https://www.l-iz.de/politik/sachsen/2018/12/Eine-wohl-ziemlich-sinnlose-Wolfsverordnung-251491

https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/data;sid=BE1184E071A5CC26F509C47870DA6C50.GO_1_4?operation=abruftabelleBearbeiten&levelindex=2&levelid=1558840825784&auswahloperation=abruftabelleAuspraegungAuswaehlen&auswahlverzeichnis=ordnungsstruktur&auswahlziel=werteabruf&selectionname=41331-0001&auswahltext=&werteabruf=Werteabruf

https://www.autogazette.de/marder/schaeden/tipps/marder-sorgen-jahr-fuer-jahr-fuer-millionenschaeden-989393657.html

Herdenschutz

https://www.rbb24.de/studiocottbus/panorama/2018/11/herdenschutzhunde-zu-teuer-fuer-lausitzer-schaefer-.html
https://www.dbb-wolf.de/Wolfsmanagement/herdenschutz
https://chwolf.org/woelfe-in-der-schweiz/herdenschutz
https://wolf.nrw/wolf/de/management/herdenschutz
http://www.lausitz-wolf.de/index.php?id=1200
http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/woelfe-niedersachsen-hebt-foerdersatz-fuer-praeventionsmanahmen-an-173925.html
https://www.agrarheute.com/tier/weidezaun-gegen-wolf-sollten-weidetierhalter-beachten-530427

Gefahr für Menschen

https://www.focus.de/wissen/experten/woelfe-in-deutschland-wie-gefaehrlich-der-wolf-fuer-menschen-wirklich-ist_id_10012256.html
https://www.focus.de/wissen/natur/mensch-und-wolf-warum-es-zu-angriffen-kommt_id_9989427.html
https://www.focus.de/wissen/natur/tiere-und-pflanzen/rasant-vermehrt-und-ausgebreitet-jede-nacht-hoeren-wir-sie-heulen-betroffene-fordern-besseres-wolfsmanagement_id_10674747.html
https://www.wolf-center.eu/de/informationen/w%C3%B6lfe-Angriffe-fakten-oder-fikt

Gegner der Wölfe

https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/nach-kabinettsbeschluss-zum-wolf-neuer-streit-um-den-abschuss-der-tiere-a-1268753.html
https://www.bauernverband.de/einschreiten-kanzleramt-wolf
https://www.forum-natur.de/media/afn_handlungsvorschlag_wolf_hoch_16_01_19.pdf

Gabriele Etgeton, Sprecherin Jagd in NRW