Unser kulturelles Verständnis – unsere kulturpolitischen Positionen
Kultur, das sind nicht nur die Theater, Museen, Galerien, Konzerthäuser und Bibliotheken, auch nicht nur die Film- und Fernsehindustrie, die aktuellen Bestsellerlisten, die Musikcharts oder die Modetrends. Kultur, das ist das, was unserem gesellschaftlichen Leben seine innere Form gibt. Worin wir uns alle ein Stück weit wiedererkennen. Und im Idealfall ist die Kultur der Kitt unserer Gesellschaft.
Kultur – früher und heute
Zu früheren Zeiten war der Begriff Kultur viel klarer umrissen. Man sprach beispielsweise davon, dass ein Mensch Kultur ‚habe‘, wenn er sich stilvoll kleidete, wenn er seine Mitmenschen höflich behandelte und auf der Straße grüßte, wenn er Manieren beim Essen walten ließ, sonntags in die Kirche ging, über ein Zeitungs- und ein Theater-Abonnement verfügte, einschlägige Bücher las und gelegentlich Ausstellungen besuchte. Heutzutage ist die Welt komplexer, die Gesellschaft ausdifferenzierter. Es gibt eine Vielzahl ‚soziokultureller Milieus‘, deren Vorstellungen von Kultur mitunter diametral auseinandergehen. Unsere Gesellschaft ist multikulturell oder, wie man seit einigen Jahren sagt, ‚divers‘ ausgerichtet.
Aber gibt es nicht auch heute noch zumindest eine rudimentäre Kultur, die uns ALLE miteinander verbindet?
Ist Kultur Sprache, Sprache Kultur?
Nun ja, es gibt die Sprache, die zwar nicht alle in Deutschland Lebenden, aber doch die allermeisten zu sprechen vermögen. Sprache schafft Identifikation und hält auch unser ‚kulturelles Gedächtnis‘ am Leben: die Erinnerung an Persönlichkeiten, an geschichtliche Ereignisse, die unsere Gesellschaft geprägt haben und bis heute prägen.
Unsere Werte
Und dann gibt es das, was man als den ‚demokratischen Wertekanon’ bezeichnen kann: Rechtsstaatlichkeit und Meinungsvielfalt, aber auch Minderheitenschutz und die Gleichwertigkeit aller – ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer körperlichen Einschränkungen, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung usw. Dieser Wertekanon ist nicht unangefochten, wird aber von der Mehrheit unserer Mitbürger als Selbstverständlichkeit erachtet und bildet daher neben der Sprache einen zweiten Grundpfeiler unserer Kultur.
Die Ökonomisierung des Lebens
Und schließlich gibt es noch etwas, das uns wirklich alle prägt – den einen mehr, den anderen etwas weniger – und das, ob man es will oder nicht, zum bedeutendsten Aspekt, zum stärksten Pfeiler unserer heutigen Kultur geworden ist: die Vermarktwirtschaftlichung, die Ökonomisierung unseres Lebens. Wir begreifen die Welt, die uns umgibt, und auch uns selbst als Teil eines gigantischen Marktes. Wir erwägen den Wert, den wir mit unseren Fähigkeiten und Erfahrungen auf diesem Markt haben, und auch den Wert unserer Mitmenschen. Wir setzen uns in Konkurrenz zueinander. Nahezu jeder Lebensbereich wird nach seinem Zweck beurteilt und quantifiziert: Krankenhäuser und Altenheime werden im Sinne der kühlen Rationalität des Unternehmertums geführt. Kirchen entwickeln PR-Strategien, damit ihnen nicht die Mitglieder davonlaufen. Organspende wird zum Geschäftsmodell. Schulen werden immer mehr darauf getrimmt, dass sie ‚fit machen‘ für den späteren Beruf. Und Tiere… ja, Tiere sind in dieser Logik auch nichts weiter als Objekte des Marktes, die man nach Belieben ausbeuten darf. Erleiden sie dabei Qualen, so ist das nicht unbedingt gewollt, aber es ist ein Kollateralschaden, der als unvermeidbar gilt. Größere Ställe, bessere Hygiene, Weidehaltung oder gar Verzicht auf Nutztierhaltung? All das ist nicht effizient, fördert nicht den Profit und wird daher abgelehnt.
Natur – der Gegensatz von Kultur?
Im Grunde war im christlich-abendländischen Denken die Natur – und mit ihr die Tierwelt – von jeher eher das Gegenbild zur Kultur als deren Bestandteil. Natur verstand man meist als etwas dem Menschen feindlich Gegenüberstehendes, das er sich erst zu eigen machen, das er ‚kultivieren‘ musste. Und Tiere mussten nach diesem Verständnis erjagt, domestiziert oder dressiert werden. Alles hatte den alleinigen Zweck, dem Menschen, der im Mittelpunkt der Schöpfung stand, zu dienen.
Frühere Fürsprecher der Natur und der Tiere
Zwar gab es auch gegenläufige Tendenzen: etwa die Naturverehrung, die im Neuplatonismus, in der Romantik, wohl auch in der Wandervogelbewegung angelegt war. Es gab einen Franz von Assisi, der den Tieren Wertschätzung entgegenbrachte, sie ebenso wie die Menschen als Geschöpfe Gottes betrachtete. Und im 19. Jahrhundert sind erste Ansätze einer Tierrechtsbewegung auszumachen. Aber all das waren doch eher unterschwellige Strömungen, die niemals zum Mainstream unserer Kultur wurden. Selbst die in den 70ern einsetzende Ökologie-Bewegung konnte zwar ein Bewusstsein dafür erzeugen, dass die Natur ein begrenztes und sensibles System ist, deren rücksichtslose Ausbeutung sich am Menschen rächt – sie konnte aber die Kultur des Zweckdenkens, der Quantifizierung und des Profits bis dato nicht grundlegend ändern.
Die Ökonomisierung der Kultur
Kommen wir von der Frage nach den Grundzügen unserer heutigen Kultur wieder zurück auf die Kultur im engeren Sinne und auf ihre Institutionen:
Die Ökonomisierung der Gesellschaft hat heute längst auch in die Kulturbetriebe Einzug gehalten. Nahezu jedes Museum, jedes Konzerthaus, jedes Theater hat an seiner Spitze einen Kulturmanager, dem es in der Regel nicht darum geht, den Besuchern eine kulturelle Message zu übermitteln, ihnen eine Erweiterung ihres Bewusstseins zu ermöglichen oder alternative Entwicklungspotentiale aufzudecken. Seine Aufgabe ist es, auf Kosteneffizienz zu achten, auf Einnahmesteigerung, auf nachfrageorientierte Kulturangebote, die effektiv vermarktet werden, auf Kundenbindung. So kommt es, dass wir nicht nur im privaten Sektor, sondern seit einigen Jahrzehnten auch im öffentlich-rechtlichen Bereich eine starke ‚Eventisierung‘ der Kultur erleben. Die Inhalte treten mehr und mehr zurück – Hauptsache die Kultur präsentiert sich hip, grell, laut, lustig und partizipativ.
Auch das Mantra des ‚Wachstums‘ wird längst von den Kulturinstitutionen beschworen: Die Anzahl der Besucher soll steigen, die Größe der Spielorte und Ausstellungshallen, die technischen Möglichkeiten, der Umfang der Ausstellungskataloge oder der Programmhefte – wenn nicht alles von Jahr zu Jahr größer und mächtiger wird, dann stimmt etwas nicht.
Was wir wollen:
Für die Tierschutzpartei ist es ein Anliegen, die ausgeprägte Kulturlandschaft in Deutschland vollumfänglich zu erhalten und zu stärken. Wir möchten soweit wie möglich den wirtschaftlichen Druck von den Institutionen nehmen. Wir wollen sie ermutigen, sich den kulturellen Projekten zu widmen, die sie für relevant halten anstatt eine Jux- und Eventkultur zu betreiben in der Hoffnung, die Besucherzahlen von Jahr zu Jahr in die Höhe zu treiben. Institutionalisierte Kultur hat das Recht und auch die Aufgabe, Maßstäbe zu setzen – dafür wird sie vom Staat gefördert. Sie sollte nicht die Pflicht haben, Gewinne oder einen steigenden Deckungsbeitrag zu erzielen.
Kultur für alle und für Künstler
Institutionalisierte Kultur muss jedem offenstehen, darf aber nicht der Versuchung erliegen, sich anzubiedern. Sie sollte weder populistisch noch elitär sein. Auch die sogenannte Hochkultur ist ein Teil der Bürgergesellschaft und kein Refugium mehr spezieller Bildungsschichten. Wir begrüßen und fördern Kooperationen zwischen institutionalisierter Kultur und freier Szene. Perspektivisch wünschen wir uns eine Egalisierung von ‚Hoch-‘ und ‚Subkultur‘ in dem Sinne, dass alle Künstler von ihrer Kunst leben können und dass allen Künstlern – ob Einzelkämpfer, Mitglied einer freien Gruppe oder Angestellter in einer etablierten Kulturinstitution – Wertschätzung von der Gesellschaft entgegengebracht wird. Künstler sind Stützpfeiler, die helfen, eine Gesellschaft aufrechtzuerhalten.
Nach unseren Vorstellungen darf und soll die Kulturlandschaft Gegenmodelle zur ökonomisierten Gesellschaft bereitstellen. Begrüßen würden wir, wenn sowohl Respekt vor der Natur als auch Empathie mit Mensch und Tier Eingang fänden in diese Modelle.