Atommüll-Lager

Ein Schluck Cäsium gefällig?

„ZeitenWENDE“ (Ausgabe 33 / 2008)
Franziska Ute Gerhardt

Im Juni 2008 wurde bekannt, dass in das Atommüll-Lager Asse II bei Wolfenbüttel seit Jahren unkontrolliert rund 12.000 Liter Wasser pro Tag eindringen. Die äußerst aggressive Salzlauge droht die Fässer zu zerfressen, und die hochgiftige radioaktive Brühe wird früher oder später das Grundwasser kontaminieren und die Umgebung von Wolfenbüttel verseuchen, wenn nicht bald gehandelt wird. Die Lauge ist mit Cäsium 137 belastet; der Wert überschreitet den zulässigen Grenzwert um das Achtfache! Gemessen wurden außerdem Strontium, Radium und Plutonium. Die Befürchtungen, dass es dadurch zu einer radioaktiven Kontaminierung des Trinkwassers kommen könnte, sind – trotz aller Beschwichtigungsversuche der Betreiber – berechtigt.

Das ehemalige Kali-Salzbergwerk Asse II war von 1967 bis 1978 ein „versuchsweises Endlager“ für alle in der BRD angefallenen schwach- bis mittelradioaktiven Stoffe. Die Sicherheit wurde von Anfang an zweitrangig behandelt, denn schon vor der Einlagerung 1967 war bekannt, dass diese Lagerstätte undicht und einsturzgefährdet ist.

89.000 Tonnen Atommüll wurden in mehr als 126.000 Fässern „entsorgt“: Eingelagert, Salz darüber, fertig. Der frühere Betreiber Helmholtz-Zentrum, dessen Mehrheitsgesellschafter das Forschungsministerium ist, versuchte, die skandalöse Schlamperei zu verharmlosen. Für Mensch und Umwelt bestünde keinerlei Gefahr, die Belastung mit Cäsium 137 liege „im Bereich der Umweltradioaktivität“. Tatsächlich aber kommt dieser Stoff in der Natur überhaupt nicht vor und ist eindeutig ein Produkt der Atom-Technologie.

Das Helmholtz-Zentrum wollte die gesamte Grube mit Magnesiumchloridlösung fluten (Kosten: rund eine Milliarde Euro), doch dies wäre der GAU gewesen, denn auch diese Lauge hätte die Fässer aufgelöst. Nur der rechtzeitige Protest von Umweltschützern konnte diesen Wahnsinn stoppen. Der strahlende Müll müsse, so Umweltschutz-Organisationen, nach oben geholt und an einem anderen Ort sicher endgelagert werden (Kosten: 4 Milliarden Euro). Selbstverständlich ginge das alles zu Lasten der Steuerzahler!

Laut Bundesumweltministerium hatte das zuständige Landesbergbauamt gegen geltendes Strahlenschutzrecht verstoßen. Umweltminister Gabriel bezeichnete Asse II als das problematischste atomare Lager in ganz Europa. Renate Künast stellte Strafantrag gegen die Betreiber. Verantwortlich ist seit September 2008 das – Minister Gabriel unterstellte – Bundesamt für Strahlenschutz, und Asse II unterliegt endlich dem Atomrecht anstatt dem Bergrecht. Der gleiche Herr Gabriel aber, der sich jetzt mit der Erfüllung dieser jahrzehntealten Forderung der besorgten Bürgerinnen und Bürger profiliert, hatte das gleiche Ersuchen vor einigen Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident noch strikt abgelehnt.

Für die Atom-Lobby ist Asse II ein herber Schlag ins Gesicht. Angesichts der hohen Ölpreise witterte sie schon Morgenluft, und die Aufdeckung des Skandals durch kritische Journalisten und Umweltschützer kam sehr ungelegen. Die Lobbyisten versuchen nun weiterhin, die Risiken zynisch zu vertuschen und setzen auf die Vergesslichkeit der Bürger sowie auf steigende Energiepreise.

Asse II ist nicht das einzige Atommüll-Lager in Deutschland und Europa. Dass zwangsläufig ganze Landstriche, Flüsse und sogar das Meer radioaktiv verseucht werden, wurde auch woanders hingenommen. Auch Gorleben ist eine höchst problematische Lagerstätte – ein Salzbergwerk, in das ebenfalls Wasser eindringt. Morsleben, das DDR-„Endlager“, wurde von der damaligen Umweltministerin Angela Merkel – entgegen vielen Bedenken bezüglich der Sicherheit – weiter genehmigt. Es soll erst jetzt endlich geschlossen werden.

Früher wurde der deutsche Atommüll in den Wiederaufbereitungsanlagen Sellafield in Großbritannien und in La Hague an der französischen Atlantikküste gelagert. Seit dem beschlossenen Atomausstieg wird er nach Gorleben transportiert und dort eingelagert.

Atomkraftgegner, die durch Schienenblockaden und andere Aktionen zivilen Ungehorsams die Transporte der Castorbehälter verhindern wollen, werden kriminalisiert.

Seitdem es die Atom-Technologie gibt, wird die entscheidende Frage nicht beantwortet: Wohin mit dem Nuklearmüll? Fieberhaft sucht man jetzt nach einer Lösung. Aber die ist nicht in Sicht.

Der Skandal Asse II offenbart die desaströse, kurzsichtig auf Profit ausgerichtete Energiepolitik in Deutschland und überall dort, wo diese verantwortungslose Technologie gefördert wird. Atomkraft ist nicht nur „riskant“, sondern führt mit Sicherheit früher oder später in die Katastrophe. Tschernobyl lässt grüßen!

Wo bleibt Vater Staats Sorge um die Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger, wenn es um Atommüll geht? Nichtraucherschutz ist wichtig, aber was werden hier für Prioritäten gesetzt? Krebs wird auch durch Plutonium und Cäsium verursacht!

Aktueller Stand: Man schaut sich nach sicheren Endlagern um, die eine Million Jahre halten sollen. Aber es gibt für eine solche Zeitspanne keine Garantie dafür, dass eine Region von Erdbeben, Erdverschiebungen oder Vulkanismus verschont bleibt.

„Nach uns die Sintflut“ ist offenbar das Credo der politisch Verantwortlichen!