Verfehlen die Sanktionen ihr eigentliches Ziel?

ein Beitrag von Jörg Etgeton

 

Das offen benannte Ziel der von den USA verhängten Sanktionen ist es, die iranische Bevölkerung zu treffen und damit die schon bestehende Unzufriedenheit im Land zu verstärken. Das iranische Volk soll wohl durch wirtschaftliche Not dazu bewegt werden, einen Regierungswechsel zu erzwingen. Ob die Rechnung aufgehen wird, bleibt offen.

 

Als Präsident Obama 2013 über den Iran Sanktionen verhängte, protestierten neben der iranischen Regierung auch die iranische Opposition. In einem von 466 Dissidenten unterzeichneten Brief an den US-Präsidenten verurteilten sie seine Politik, die in ihren Augen nicht nur die iranische Wirtschaft schädigte, sondern auch die iranische Zivilgesellschaft und damit die Chancen auf einen friedlichen Wandel im Land hin zur Demokratie stark in Mitleidenschaft zog.

 

Nach Inkraftretung von Obamas Sanktionen verdoppelte sich rasch die Zahl der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Familien im Iran. Hunderttausende Kranke hatten plötzlich keinen Zugang mehr zu Medikamenten. Allerdings lebt das iranische Volk seit Jahrzehnten mit Sanktionen, so daß irgendein weiterführender Effekt durch deren Wiederbelebung nicht erwartet werden kann. Man hat sich an Sanktionen gewöhnt, hat gelernt sie durch Handel mit Drittländern zu umgehen.

 

Inzwischen wurden durch Donald Trump das 2016 geschlossene Atomabkommen einseitig aufgekündigt und die vorübergehend ausgesetzten Sanktionen traten wieder in Kraft. Der fallende Wechselkurs hat den Rial stark abgewertet. Iran ist abgeschnitten von einem Großteil des internationalen Handels und von Bankgeschäften. Auch die Ölexporte, existentiell wichtig für die iranische Wirtschaft, werden beschränkt. Ein weiteres Ziel, zu dem sich die USA meist nicht bekennen, ist es, Iran vom Ölmarkt zu verdrängen, was von beispielsweise den Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien begrüßt wird.

 

Die Regierung Irans reagierte prompt auf den einem Wortbruch nahekommenden einseitigen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen und nutzt die Situation in ihrem Sinne. Der Oberste Führer der Islamischen Revolution Ayatollah Seyyed Ali Khameini betonte die Notwendigkeit der Einigkeit aller Iraner und der Geschlossenheit von Volk und Regierung. Die Regierung Irans fördert so die Bildung einer Wagenburgmentalität, um ihre Herrschaft zu stabiliseren.

 

Aber diese Strategie geht inzwischen nur noch bedingt auf. Die Proteste gehen aus von einfachen Bürgern und richten sich mitunter ganz offen gegen die Regierung, die für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht wird. Besonderen Sprengstoff für Iraner hat der immer stärker verfallende Wechselkurs des Rial. Gewerbetreibenden wird es beinahe unmöglich, die so dringend benötigten Waren im Ausland einzukaufen. Grassierende Arbeitslosigkeit und steigende Inflation gefährden den bescheidenen Wohlstand, den sich die iranische Mittelschicht bisher trotz den Sanktionen hat aufbauen können. Gerade die zwar gut ausgebildete, aber kaum Beschäftigung findende untere Mittelschicht sieht ihre instabile Lebenslage immer mehr ins Wanken geraten. Eine Revolte scheint aber derzeit unwahrscheinlich, vor allem weil Angehörige der Unterschicht, der oberen Mittelschicht, Intellektuelle und Politiker sich bisher den Protesten nicht angeschlossen haben.

 

Dennoch kommt Präsident Rouhani mehr und mehr unter Zugzwang, auch weil Ayatollah Khameini auf staatliches Mismanagement als Ursache für die sich verschärfende ökonomische Krise verweist. Es gilt, innenpolitisch Aktivität zu zeigen, ohne dass aber tatsächliche Reformen angegangen werden können. Nachdem Anfang August der Arbeitsminister entlassen wurde, wechselte Präsident Rouhani anschließend auch Chef und Vizechef der Zentralbank aus. Zuletzt wurde nun der iranische Finanzminister durch das Parlament abgesetzt mit dem Vorwurf, er habe sich Ineffizienz und mangelnde Planung zuschulden kommen lassen. Präsident Rouhani selbst muss sich am 28.08. vor dem Parlament erklären.

 

Außenpolitisch bedient sich Iran nun der UN, um gegen die Sanktionen der USA vorzugehen. Die von Iran als „nackte Wirtschaftsagression“ bezeichnete Sanktionierung würde einen 1955 zwischen den USA und Iran geschlossenen Freundschaftsvertrag verletzten, weswegen die Sanktionen aufgehoben werden müssten. Der Ausgang dieser Klage ist mehr als ungewiss. Zwar sind die Urteile des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag bindend, aber in der Praxis kaum durchsetzbar. In der Vergangenheit wurden Urteile mitunter schlicht ignoriert, so auch durch die USA.

 

Trumps neuer Kurs schwächt gerade die Kräfte in Iran, die sich für eine versöhnlichere Außenpolitik und eine offenere Gesellschaft im Innern einsetzen. Während der iranische Präsident Rouhani noch Gesprächsbereitschaft signalisierte, verkündete Ayatollah Khamenei schon Edikte, die jede Öffnung gegenüber dem Ausland ablehnten und vor „ausländischer Infiltration“ warnten.

 

Die repressiven Kräfte in Iran würden am meisten davon bedroht werden, wenn Iran ein aktiver Teil der Weltwirtschaft wäre und sich der Handel entfalten könnte. Dank der harschen Sanktionen profitieren derzeit nur einige wenige in Teheran von ihrer Position und ihren Monopolen, da sie sich gutstellen mit der Iranischen Revolutionsgarde und anderen iranischen staatlichen Einrichtungen.

 

Das Gesicht Irans würde sich verändern lassen durch einen wachsenden Mittelstand, eine organisierte Zivilgesellschaft und anerkannte Anführer, die zwischen den verhärteten Fronten vermitteln könnten. Ein demokratischer Iran wäre dann über kurz oder lang unausweichlich. Alle Bemühungen in diese Richtung aber werden durch Sanktionen und Kriegsdrohungen von außen zunichte gemacht. Die aktuelle Politik gegenüber Iran zementiert die Machtposition der repressiven Kräfte.

 

 

Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz begrüßt es, dass die EU nicht dem Kurs der USA folgt und die Sanktionen aufgehoben bleiben. Das sogenannte „Blockade-Gesetz“ schützt europäische Unternehmen, die Geschäfte mit Iran betreiben. Die EU muss es sich zur Aufgabe machen, schrittweise auf eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen hinzuarbeiten.