Analyse zur Europawahl

Gastbeitrag von Martin Gramer

Das Ergebnis der Europawahl von 2019 zeichnet die künftige Entwicklung des Parteiensystems sehr anschaulich voraus: CDU und CSU sind zum ersten Mal bei einer bundesweiten Wahl unter die 30-%-Marke gerutscht und haben es ausschließlich den Senioren zu verdanken, dass sie noch stärkste Kraft geworden sind. Im Gegensatz zur CDU konnte die CSU sogar leicht zulegen, was auf die Bewerbung ihres Spitzenkandidaten Manfred Weber für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zurückzuführen sein dürfte und in Bayern einen „Weber-Effekt“ ausgelöst hat. Profitiert hat davon die auf Listenplatz sechs stehende Drogenbeauftragte Marlene Mortler, die ihre Weisheiten wie „Weil Cannabis eine illegale Droge ist. Punkt.“ künftig im EU-Parlament kundgeben darf. Die GRÜNEN hingegen erreichten erstmals mehr als 20 % und somit Platz zwei, nicht zuletzt dank der Klimaschutzbewegung und womöglich des Youtubers Rezo. Die SPD rutscht erstmals seit der Weimarer Republik bundesweit unter 20 % und muss um ihren Status als Volkspartei immer mehr bangen.

Die AfD legt von sieben auf elf Prozent zu und damit nicht in dem Maße wie befürchtet. Der nur leichte Zuwachs dürfte dadurch zu erklären sein, dass vor fünf Jahren noch der wirtschaftsliberale Flügel dominierte, während in den Jahren danach der rechtsradikale Flügel an Bedeutung gewann. Durch die innerparteiliche Zerstrittenheit und programmatischen Schwächen konnte sie bei weitem nicht so viele Wähler anziehen wie bspw. die Rechtsaußen-Parteien in Frankreich oder Italien. DIE LINKE liegt leicht vor der FDP und beide bleiben hinter ihren früheren Ergebnissen zurück.

Unter den nicht im Bundestag vertretenen Parteien erreichten die FREIEN WÄHLER und die Klamauktruppe „Die PARTEI“ jeweils zwei Sitze. Zu den Parteien, die einen Sitz erreichten, gehören neben der Tierschutzpartei auch die ÖDP und somit eine weitere Umweltpartei. Ebenso ein Sitz gibt es für die konservative „Familienpartei“, die linksliberal-paneuropäisch ausgerichtete „Volt“-Partei sowie die PIRATEN. Letztere können somit dem kompletten Fall in die Bedeutungslosigkeit knapp entrinnen. Großer Verlierer unter den Sonstigen ist die NPD, die vor fünf Jahren noch einen Abgeordneten in das EU-Parlament entsendete, diesmal jedoch nicht die notwendige Stimmenzahl für einen Sitz erreichte, was mit dem Rechtsruck der AfD zu erklären ist.

Die 1993 gegründete Tierschutzpartei erreicht mit über 542.000 Stimmen und 1,45 % ihr bislang bestes bundesweites Ergebnis. Laut Statistik der Forschungsgruppe Wahlen erhielt die Tierschutzpartei unter den jüngeren Wählern (18 bis 29 Jahre) sogar 4 %. Bei den U18-Wahlen erzielte sie über 5 %.

Zum zweiten Sitz, der laut den meisten Hochrechnungen am Wahlabend (zeitweise 1,7 %) in greifbarer Nähe schien, fehlten rund 19.700 Stimmen. Die Hauptursache dafür liegt auf der Hand: Es traten zusätzlich drei (!) weitere Tierschutzparteien an, die zuvor von  ehemaligen Tierschutzpartei-Mitgliedern gegründet wurden. Zusammen erzielten diese 0,7 % und können sich somit rühmen zu sagen, eine bessere Interessensvertretung zugunsten der Tiere verhindert zu haben! Die im Vorfeld oft geäußerte Befürchtung, dass alleine deren Wahlantritte der Tierschutzpartei wichtige Stimmen und somit einen zusätzlichen Sitz kosten, hat sich leider bewahrheitet.

Zudem spielten sie teilweise mit gezinkten Karten. „TIERSCHUTZ hier!“, gegründet 2017 von rechten Unruhestiftern aus Nordrhein-Westfalen im Vorfeld der letzten Bundestagswahl, warb mit dem Zusatz „DAS ORIGINAL“, was eine bewusste und leider auch wirksame Wählertäuschung darstellte. Die „Partei für die Tiere“, der die früheren Bundesvorstandsmitglieder Carsten Molitor und Caroline Eckhoff angehören, und die den Namen der niederländischen Tierschutzpartei „Partij voor de Dieren“ übersetzten, suggeriert per Facebook, in allen 16 Bundesländern mit Landesverbänden präsent zu sein. Tatsächlich existieren neben dem Bundesverband nur solche in Baden-Württemberg und Bayern. Nicht auszuschließen, dass so mancher Wähler aufgrund der aufgeblähten Facebook-Präsenz darauf reinfiel. Bleibt noch die Tierschutzallianz, die 2013 von Ex-Mitgliedern aus Sachsen-Anhalt aus dem Umfeld des Ehepaares Fassl ins Leben gerufen wurde und von den vier Gruppierungen die wenigsten Stimmen erhielt, da sie die einzigen waren, die fair play vertraten.

Es bleibt zu hoffen, dass die Wähler dieser Parteien, und vielleicht eines Tages auch deren Mitglieder, einsehen, dass ein Neben- oder Gegeneinander auf die Dauer den gemeinsamen Zielen absolut nicht dienlich ist.