Kleine Parteien als demokratische Alternative

Der Mythos der verlorenen Stimme

Blickt man in der Wahlkabine auf den Stimmzettel, so findet man sowohl bei einer Kommunalwahl, der Bundestagswahl, den bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen & Bayern, als auch bei der Europawahl im Juni 2024 neben den bekannten Großen auch stets eine Vielzahl an kleinen Parteien. Diese finden sich jedoch in den Wahlumfragen der Medien später meist nur unter dem Begriff „Sonstige“ wieder.

Einzelpersonen des öffentlichen Lebens, aber auch Institutionen und Vereine argumentieren jedoch vor jeder Wahl aufs Neue, dass diese Stimmen verschenkt wären und im schlimmsten Fall sogar noch Parteien wie der AfD Vorschub leisten würden, weil dadurch in den Parlamenten vertretene andere Parteien geschwächt würden. Dabei bringen Kleinparteien, wie die unsere, oftmals frische und unverbrauchte Sichtweisen und Zukunftsideen ein und setzen deutliche Zeichen in der Parteienlandschaft gegen Hass und Hetze und für Respekt und Mitgefühl! Lesen Sie hier ein Plädoyer für die Underdogs der politischen Landschaft und warum diese einen Gewinn für die Demokratie darstellen.

Argument 1: Finanzielle Unterstützung

Parteien nehmen erst dann am System der staatlichen Teilfinanzierung teil, wenn sie bei der letzten Bundestags- oder Europawahl mindestens 0,5 % bzw. bei der letzten Landtagswahl mindestens 1,0 % der gültigen Stimmen erhalten haben. Ist dieses Kriterium erfüllt, erhalten sie jährlich bis zu 0,86 € für jede auf ihrer jeweiligen Liste abgegebene Stimme (Zweitstimme). Diese Gelder nutzen Kleinparteien vor allem, um Ihre öffentliche Wahrnehmung zu steigern und somit mit Ihren Zielen und Visionen für Wähler:innen sichtbarer zu werden, denn gerade Wahlkämpfe kosten viel Geld.

Argument 2: Ideen „Übernahme“ durch große Parteien

Auch wenn es kleine Parteien oft nicht schaffen in den Landtag oder gar in den Deutschen Bundestag einzuziehen, so werden ihre Ideen und Vorschläge gerne mal von den großen Parteien „übernommen“. Gerade wenn Parteien oder Einzelkandidierende zu einem Thema oder mit einer Position einen besonders hohen Zuspruch bei den Wähler:innen erhalten, bleibt dies in den Schaltzentralen der Macht nicht unbemerkt.

Argument 3: Fokussierung auf neue Themen

So schaffen es selbst vergleichsweise geringe Wahlerfolge kleinerer Parteien, die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die bislang eher im Windschatten der Regierungspolitik lagen: Exemplarisch hätte es den Fokus und die Verbesserungen hinsichtlich der Thematiken Tiertransporte, Tierversuche oder Kampf gegen die Klimakrise höchstwahrscheinlich nicht ohne kontinuierlichen Druck seitens der Tierschutzpartei und weiteren Kräften gegeben.

Argument 4: Aktivierung von Nichtwähler:innen

Politikverdrossenheit ist nicht erst seit diversen Spenden- oder Lobbyskandalen ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft und das Schimpfen auf „die da oben“ an der Tagesordnung, sodass viele Wähler:innen erst gar nicht zur Wahl gehen. Gerade Kleinparteien schaffen dank differenzierter Themen und neuer Perspektiven oft erstmals wieder in die Lebenswirklichkeit von Teilen der Bevölkerung einzudringen, die von vielen etablierten Teilen der Politik schon lange abgeschrieben wurden.

Argument 5: Hohe Fach- und Themenkompetenz

Viele kleinere Parteien und Gruppierungen haben starke thematische Schwerpunkte und die ehrenamtlichen Politiker:innen setzen sich mit großer Leidenschaft für ein oder mehrere „Herzensthemen“ ein. Oftmals vereinen diese durch die aktiven Mitglieder und Unterstützer:innen eine enorme thematische Fachkompetenz. Oder würden Sie beispielsweise unserer Partei keine fundierte Expertise im Tierschutz bzw. für den Schutz aller Lebewesen, in Sachen Klimakrise oder dem Einsatz für sozialer Gerechtigkeit zutrauen? In vielen gleichartigen Parteien steht ebenfalls der Idealismus für das Sachthema oftmals an erster Stelle. Meist gehen diese dann mit Maximalforderungen zu einem bestimmten Thema in den Wahlkampf, aber tun das die Gewerkschaften oder Autoverkäufer:innen nicht ebenso?

Wenn es so viele gute Argumente für kleine Parteien gibt, warum besteht dann eine 5-Prozent-Hürde bei vielen Wahlen?

In die 16 Landtage oder gar in den Bundestag schafft es aktuell so gut wie keine der Kleinparteien, denn das deutsche Wahlrecht hat eine Art Sperre eingebaut: Mindestens 5 % der gültigen Stimmen sind so etwas wie der „Türsteher“ vor vielen Parlamenten. Diesen zu überwinden fällt vielen politischen Gruppierungen äußerst schwer, denn oftmals fehlt der personelle Hintergrund flächendeckend Kandidierende aufzustellen und zusätzlich in jedem Bundesland bis zu 2.000 Unterstützungs-Unterschriften zusammenzubekommen, um überhaupt erst auf dem Stimmzettel vertreten zu sein.

Anders als bei Wahlen innerhalb Deutschlands, wie Landtags- oder Bundestagswahlen, gibt es für deutsche Parteien bei europäischen Wahlen noch keine Sperrklausel – die könnte sich jedoch noch durch den aktuell laufenden rechtlichen Prozess bezüglich der Europawahl 2029 ändern. Indem dabei ebenfalls eine prozentuale Eintrittskarte eingeführt werden soll, wollen größere Parteien eine weitere Zersplitterung des Parlaments verhindern. Diese Idee, wie die der Fünf-Prozent-Hürde, geht dabei auf die Angst zurück, dass zu viele Klein- und Kleinstparteien ein Parlament quasi unregierbar machen würden. Jedoch scheint dies einerseits bloß ein aus Angst vor Machtverlust motivierter Akt der bereits Machthabenden zu sein und andererseits erscheint das stützende Argument einer unmöglichen Arbeitskultur durch angeblich übertriebene Ausdifferenzierung ins Leere zu schießen. Klein- und Kleinstparteien sind oft Anlaufstellen und Quellen für noch wenig etablierte oder leise Meinungen sowie Ideen, weswegen eine Exklusion dieser aus dem politischen Geschehen durch eine gewollte Hürde einem demokratischen Ideal entgegenstehen würde. Zudem bestehen die im Europaparlament zu findenden Fraktionen ohnehin aus bemerkenswert vielen Parteien (in der Legislaturperiode 2019-2024 gab es mehr als 180), wodurch eine Verringerung seitens Deutschland einen kaum wahrnehmbaren Effekt zeigen und eher eine bloße Auslebung einer antidemokratischen, Macht forcierenden Position darstellen würde.

Argument 6: National ungleich international

Es gibt einen relevanten Unterschied zwischen Politik auf nationaler und internationaler Ebene. Kleinparteien können, obwohl sie kaum im politischen Kosmos Deutschland sichtbar sind, dennoch auf europäischer Ebene wirksam sein. Aufgrund dessen ist es möglich, bei verschiedenen Rahmenbedingungen divers zu wählen. Kommunal-, Landtags-, Bundestags- oder Europaparlamentswahlen sind in bestimmten Hinsichten eigene Spielfelder, wodurch es nicht zwingend so sein muss, dass man bei jenen überall das Gleiche ankreuzt. Selbstverständlich ist die Stimmabgabe für einen kleinen Akteur wie die Tierschutzpartei auf allen Ebenen hilfreich und wichtig. Doch auch wenn etwa im Landesbereich gewohnheitsmäßig die eine Großpartei gewählt wird, da dort beispielsweise Kleinparteien meist unsichtbar bleiben und fälschlicherweise den Anschein der Irrelevanz erzeugen, ist es sinnvoll auf europäischer Ebene gerade dort das Kreuz zu setzen. Die Präsenz und Wirkungsmacht auf der einen Stufe bestimmt nicht die auf einer anderen.

Das Abschlussplädoyer

Selbstverständlich werden diese Argumente nicht alle überzeugen, ihr „Kreuzchen“ jenseits einer etablierten Partei zu setzen. Die Stimmabgabe für eine der Großen sollte jedoch auch nicht als Begründung für den Glauben daran dienen, dass es die Wunschpartei ohnehin nicht schaffen wird, in das jeweilige Parlament einzuziehen. Kleinparteien oder auch unabhängige Direktkandidaten bringen viele neue Ideen und sogar einen Idealismus in die deutsche Demokratie ein, der vielen Parteien über die Jahrzehnte leider gänzlich abhandengekommen ist. Wer den „Kleinen“ keine Chance gibt, sollte das Argument, dass sich politisch ja sowieso nichts ändern würde, besser in der Schublade lassen.

(se/tk)