Was ist eigentlich Nachhaltigkeit?

Hitzerekorde, Starkregen-Ereignisse, Brände in den Regenwäldern und rund ums Mittelmeer, schmelzende Gletscher und Aktivist:innen der letzten Generation kleben auf deutschen Straßen – vielen Menschen wird dabei bewusst, dass es ein „Weiter so!“ in Bezug auf den persönlichen Konsum nicht mehr geben kann und darf, um so in der Konsequenz, den Lebensraum auf der Erde auch für zukünftige Generationen erhalten zu können. Der Begriff der Nachhaltigkeit erscheint dabei allgegenwärtig, doch woher stammt er? Wir beleuchten dabei die Entstehung und Weiterentwicklung der Begrifflichkeit seit dem 18. Jahrhundert und beschäftigen uns mit der Tatsache, dass Verbraucher:innen mit dem Begriff oftmals komplett unterschiedliche Dinge verbinden. Zudem zeigen wir am Ende noch, welche Vorteile Unternehmen durch den Fokus auf Nachhaltigkeit in der Produktion, Logistik und Vertrieb haben.

Als historischer Vorläufer eines Leitbildes der Nachhaltigkeit wird allgemein das Waldbewirtschaftungsprinzip von Hans Carl von Carlowitz aus dem Jahr 1713 angesehen. Holz war in dieser Zeit der primäre Baustoff, sei es für den Haus- oder Schiffsbau, aber auch in der täglichen Nutzung als Brennmaterial zum Kochen und Heizen. Carl von Carlowitz fordert in seiner Funktion als Oberberghauptmann und Leiter des sächsischen Oberbergamtes in Freiberg eine beständige und nachhaltende Nutzung des Waldes. Dabei ist es für ihn selbstverständlich, dass abgeholzte Bäume nachgepflanzt werden müssen, um so die wirtschaftliche Basis nicht zu erschöpfen.

In den folgenden Jahrzehnten kam die eher gemäßigte Forstwirtschaft jedoch zu einem abrupten Ende. Ein Hauptgrund dafür stellt die Bodenreinertragslehre dar, welche vom deutschen Ingenieur und Forstwissenschaftler Maximilian Robert Preßler ab 1858 begründet wurde und einen maximalen monetären Ertrag und nicht mehr die Produktivität der Natur in den Fokus setzt. Der Einfluss dieses Modells ist auch heute noch in den ausgedehnten Beständen an Fichten- und Kiefer-Monokulturen in deutschen Wäldern erkennbar.

Erst in den 1970er Jahren markierte die Studie „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome den Wiederbeginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Disziplinen der Nachhaltigkeit und Ökologie. Der Begriff der Nachhaltigkeit erfährt hier eine deutliche Erweiterung zur ersten Definition durch v. Carlowitz, denn die Autoren der Studie plädieren hier für erstmals für einen dauerhaften und weltweiten Gleichgewichtszustand, der nicht durch nationale, sondern nur durch Bemühungen im globalen Maßstab zu erreichen ist.

Durch die UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung wird schließlich ein als Brundtland-Bericht bekannter Bericht beauftragt und im Jahr 1987 veröffentlicht. Vor dem Hintergrund wachsender weltweiter ökologischer, ökonomischer und soziale Problemstellungen sollen darin Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. Aus diesem Bericht stammt auch die bislang am weitesten anerkannteste Definition von Nachhaltigkeit: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die gewährleistet, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen als gegenwärtig lebende“.

Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Treibhauseffektes, steigender Weltbevölkerung und zunehmenden Naturkatastrophen folgen in den nächsten Jahren zahlreiche bedeutende Veranstaltungen, wie etwa die weltweite Umweltkonferenz von Rio de Janeiro im Jahr 1992, bei der das Leitbild der Nachhaltigkeit erstmals Einzug in die Politik fand. Ebenfalls aus diesem Jahr stammt das entwicklungs- und umweltpolitische Aktionsprogramm Agenda 21. Aus diesem wurde in Deutschland im Jahr 2002 die Lokale Agenda 21 entwickelt, welche mit regionalen Maßnahmen Anwendung in vielen tausenden Kommunen bundesweit fand.

Im Rahmen der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro (Rio+20) im Jahr 2012 wurden schließlich die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (englisch Sustainable Development Goals, kurz SDG) samt 169 Unterzielen festgesetzt. Dies sind politische Zielsetzungen, die weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen. Der offizielle deutsche Titel lautet: „Transformation unserer Welt: Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ (kurz: Agenda 2030).

Verwirrung bei den Konsument:innen

Gemäß einer YouGov-Umfrage aus dem Frühjahr 2021 geben 60 % der Deutschen an, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit Ihre Ess- und Einkaufsgewohnheiten beeinflussen würde. Anders gesagt, bietet sich mit fast Zweidrittel der Konsumentinnen und Konsumenten eine extrem breite, aber nicht unbedingt homogene Zielgruppe an.

Die Herausforderung für die Herstellerfirmen: Wofür genau Nachhaltigkeit bei Produkten steht, wird (noch) nicht allgemeingültig definiert. Dies führt u.a. dazu, dass im Rahmen einer Umfrage des Musiol Oldigs Markendienstes, ein Viertel der Befragten sagen, dass sie unter dem Begriff Nachhaltigkeit einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen verstehen. 27 % verbinden damit ein verantwortungsvolles, zukunftsorientiertes Verhalten und ein weiteres Viertel damit grundsätzlich den allgemeinen Umweltschutz, während dem letzten Viertel der Umfrageteilnehmenden dazu gar keine Einordnung eingefallen ist.

Auf der anderen Seite glauben 20 % der Befragten der Statista Global Consumer Survey 2021, dass „Nachhaltig“ nur einen Begriff darstellt, den Unternehmen nutzen, um ihre Produkte teurer verkaufen zu können. Zudem ist das sogenannte Greenwashing gerade bei national und international tätigen Unternehmen kein Einzelfall, sondern wird regelmäßig durch Verbraucher- und Umweltschutzverbände aufgedeckt.

Die Ansprüche wandeln sich

Die Einstellung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu Nachhaltigkeitsaspekten wie dem Umweltschutz unterliegt laut den Autoren Meffert et al. in einem 2015 veröffentlichen Buch Schwankungen: Denn wenn die Wirtschaft positive Zahlen zu verkünden weiß, gewinnt die Bedeutung des Umweltschutzes in der Wahrnehmung der Bevölkerung hinzu und umgekehrt. Gerade in Deutschland kann ein Unternehmen mit Umweltfreundlichkeit als Alleinstellungsmerkmal deutlich punkten. Festzuhalten ist jedoch, dass es beim Kaufverhalten bei einer grundsätzlichen Zunahme des umweltbewussten Konsums, deutliche Unterschiede zwischen den Warengruppen gibt. So wuchs gerade im Lebensmitteleinzelhandel der Anteil von genussorientierten Lebensmitteln wie Wurst, Fleisch und Süßwaren deutlich geringer als bei Warengruppen wie Müsli, Brotaufstriche und Obst/Gemüse.

Die drei Säulen der Nachhaltigkeit

„Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der inzwischen viele Interpretationen hat“ zu dieser Zusammenfassung kamen in diesem Jahr die Autoren Elsa Pieper und Gregor Weber. Dabei zogen sie den pragmatischen Vergleich zu einem Hocker: Um bequem und stabil sitzen zu können, müssen die Beine gleich lang sein. Eben diese drei Beine entsprechen in diesem bildlichen Vergleich den 3P der Nachhaltigkeit, wobei jedes P für den Anfangsbuchstaben der Wörter People, Planet und Profit steht. Also die Ökologie, Ökonomie sowie die Gesellschaft bzw. das Soziale, die gemeinsam die drei Säulen der Nachhaltigkeit in einem Unternehmen bilden.

Hierbei kommt der Unternehmenskultur laut Pieper und Weber eine zentrale Bedeutung für den Erfolg von Unternehmen zuteil. Dabei ist es auch von zentraler Wichtigkeit, dass neben den Kunden und Anteilseignern im Sinne der Nachhaltigkeit auch weitere Personenkreise im Blick behalten werden, was nach Aussage der Autoren unbedingt auch die Familien der Mitarbeiter, die Menschen in den weltweiten Lieferketten sowie zukünftige Generationen, die Umwelt und auch das Klima beinhalten sollte.

Vorteile für Unternehmen

Die thailändischen Forscher Soonsiripanichkul und Ngamcharoenmongko haben im Jahr 2019 eine Verbindung zwischen den Sustainable Development Goals (SDGs) und dem Wert eines Einzelhandesgeschäftes untersucht. Dabei vertreten Sie die These, dass je mehr positive Bilder in Zusammenhang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung im Marketing verwendet werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass die mit dem jeweiligen Geschäft verbundenen positiven Assoziationen gestärkt werden.

Eine im Jahr 2020 im Journal of Product and Brand Management veröffentlichte empirische Studie aus Spanien bestärkt in Ihrer Analyse die Annahme, dass Innovation und Nachhaltigkeit die Schlüsselvariablen für das Image eines Handelsunternehmens darstellen. Laut den Ergebnissen der spanischen Forschenden wird die Nachhaltigkeit eng mit der Qualität der Produkte und des Unternehmens selbst in Verbindung gesetzt und ein dadurch entstehendes positives Image hat hohen Einfluss auf die Kundentreue in großen Einzelhandelsunternehmen.

Das gleiche Team von Forschenden geht in einer in diesem Jahr erschienenen Veröffentlichung noch einen Schritt weiter und sieht in dem dynamischen und turbulenten Umfeld, in dem Einzelhandelsunternehmen agieren, neben den reinen Wettbewerbsvorteilen mit nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen, eine Chance auf Fortschritt und sogar das Überleben der Firmen. Daraus wird die klare Notwendigkeit abgeleitet, sich mehr auf nachhaltige Geschäftsmodelle zu konzentrieren.

(se)