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Wie rechts denkt Deutschland?

Die allermeisten Menschen hierzulande beziehen bewusst oder unbewusst Stellung zu politischen Themen und Fragestellungen und verhalten sich dementsprechend. Manche tun dies ganz aktiv, andere wiederum scheinen bloß „die da oben“ machen zu lassen und blenden die politische Dimension aus dem eigenen Leben möglichst aus, denken und handeln dennoch auch zu politischen Geschehnissen.

In der Politikwissenschaft und Sozialforschung sind empirische Datenerhebungen von politischen und gesellschaftlichen Positionen heiß begehrt, so auch für die Realpolitik selbst, die solche aufnehmen und damit direkt umgehen kann. Durch die wissenschaftlichen Analysen lassen sich Meinungsbilder, Denkströmungen und andere Phänomene aufdecken, veranschaulichen und interpretieren. 

Erst vor Kurzem erschien eine weitere Studie der Universität Leipzig zu ebensolchen Einstellungen mit Blick auf autoritäre Dynamiken. Innerhalb repräsentativen Datenerhebung wurden Personen generationenübergreifend mit unterschiedlichen Fragen und Aussagen konfrontiert, denen sie zustimmen konnten oder nicht. Zudem gab es eine Unterteilung der Teilnehmenden in zwei territoriale Gruppen: Ost und West. Des Weiteren gab es Untersuchungen verschiedener Einstellung und deren Verbreitung im Zeitraum 2002 bis 2022. So konnte nicht nur der aktuelle Zeitgeist innerhalb der Bevölkerung, sondern auch der Standpunkt im Verlaufe der letzten Jahre festgehalten und folglich verglichen werden. Im Fokus der Forschung standen Einstellungen zu Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, politischen Systemen wie Demokratie oder Diktatur, Nationalsozialismus, Verschwörungsmythen und einigen anderen Themengebieten. 

Hier nun einige Ergebnisse der Studie zusammengefasst:

Zunächst das Positive: Grundsätzlich ist ein Rückgang rechtsextremen, neo-NS-ideologischen Gedankenguts in diversen Bereichen zu verzeichnen. Geschlossene rechtsextreme Weltbilder und Überzeugungsnetze sind vor allem im Osten von Deutschland erheblich zurückgegangen. Auch antisemitische Einstellungen liegen im Abwärtstrend. Mit Blick auf die Pandemie ist ebenfalls zu sagen, dass die Verschwörungsmentalität im Allgemeinen, aber auch mit konkretem Bezug zur Corona-Thematik insgesamt abgenommen hat. Es gab gerade anfangs der Coronazeit ein Hoch, was im Laufe der Pandemiejahre abflachte. Zudem ist ein Anstieg der Zufriedenheit mit der Demokratie im bundesweiten Raum zu erkennen, wobei etwas mehr als die Hälfte der Befragten inzwischen zufrieden mit der sogenannten Alltags-Demokratie und ungefähr 80 Prozent mit der in der Verfassung festgelegten Demokratie sind. Im Westen ist zusätzlich ein Rückgang ausländerfeindlicher Einstellungen vermerkt. 

Allerdings wurden im Rahmen der Studie auch einige negative Entwicklungen aufgedeckt. Im Osten gibt es gegensätzlich beispielsweise einen Aufwärtstrend bezüglich Ausländerfeindlichkeit. In Deutschland insgesamt glaubt circa die Hälfte der Teilnehmenden an die Ausnutzung des Sozialstaates seitens „der Ausländer“. In ähnlicher Größenordnung wird eine Gefahr in einer vermeintlichen Überfremdung Deutschlands durch „die Ausländer“ gesehen. Vor allem im Westen gibt es Verharmlosungen des Nationalsozialismus   von rund 20 Prozent, erheblich mehr als im Osten. Außerdem konnten bei 20 bis 30 Prozent aller Befragten antisemitische Überzeugungen erfasst werden, etwa dass Juden noch zu viel Macht besäßen oder von Natur aus besonders und anders sind, weswegen sie nicht „zu uns“ passen würden. Ungefähr die Hälfte der Personen befürwortet eine starke Konzentration deutscher Politik auf Deutschland selbst, also eine chauvinistische Aufwärtsbewegung, und erfordert eine Rückkehr zu nationalem Denken. Trotz des Anstiegs der Demokratiezufriedenheit, der Abkehr von Diktatur und der Idee bloß einer führenden Person, lässt sich festhalten, dass sich rund 40 Prozent eine starke regierende Partei wünscht, welche das Volksinteresse insgesamt vertritt. 

Abschließend sei festzuhalten, dass es zwar durchaus in einigen Bereichen Rückgänge rechten und rechtsextremen Denkens gibt, allerdings ist auch eine genau umgekehrte Bewegung in etlichen Aspekten zu erkennen. Die Probleme sind also nicht verschwunden, sie verschieben sich eher. Beispielsweise gibt es eine höhere Zufriedenheit mit der Demokratie, auch generiert durch sichtbar starkes Handeln und Wirken des Staates in der Pandemie, jedoch sinkt das Erleben eigener politischer Wirksamkeit. Zudem lassen sich bei circa jeder zweiten Person autoritäre Aggressionen finden, die sich auf unterschiedliche Gruppen beziehen, etwa generell auf „die Ausländer“ oder auch Menschen jüdischen Glaubens. Sicher ist also, dass es in vielen Bereichen noch einiges aufzuarbeiten gibt und der Kampf gegen Rechts immer noch aktuell ist. 

(tk)