Frieden schafft man nur durch Frieden – Unsere Haltung zur erneuten Eskalation in Nahost

Es ist einer der komplexesten Konflikte im Weltgeschehen: der Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern. Dass er gegenwärtig erneut eskaliert, hat vielfältige Ursachen und weder kann man der Hamas, noch den Israelis dafür eindeutig und allein die Schuld geben. Schon der Begriff „Schuld“ ist problematisch angesichts der historischen Hintergründe, verschiedenen Ebenen von Interessenskonflikten und der Tatsache, dass fast alle auch Opfer der Umstände sind.

Man muss leider konstatieren, dass es wohl auf beiden Seiten Akteure gibt, die keine Kompromisslösung wünschen und daher vermutlich gewollt Eskalationen provozieren. Die ständig verschobenen palästinensischen Wahlen, die von Netanjahu betriebene Siedlungspolitik, der Raketenbeschuss der extremistischen Hamas und die militärische Antwort Israels machen einen Friedensschluss immer unwahrscheinlicher.

Ganz klar muss man aber sagen: Die von Netanjahu geführte Regierung „ist“ ebenso wenig Israel, wie die Hamas das palästinensische Volk von Gaza „ist“. Die israelische Gesellschaft ist sehr vielfältig und es gibt unterschiedlichste politische Positionen. Daher ist es unbegründet und nicht förderlich, wenn verallgemeinernd alle Palästinenser:innen oder alle Israelis verantwortlich gemacht werden. Noch absurder und unangebrachter ist es, muslimische und jüdische Menschen in anderen Ländern für die aktuellen Vorgänge verantwortlich zu machen oder von ihnen Distanzierungen abzuverlangen. Antisemitische Parolen oder gar Gewalt auf pro-palästinensischen Demonstrationen in Deutschland und anderen Ländern verurteilen wir auf das Schärfste.

Dass sich die israelische Bevölkerung gegen Raketenbefeuerung aus Gaza schützt, ist nachvollziehbar und richtig. Da die Menschen in Gaza jedoch kein Raketenabwehrsystem haben und auch sonst nicht über eine Israel vergleichbare Militärtechnologie verfügen und da infolgedessen die menschlichen und wirtschaftlichen Verluste auf palästinensischer Seite um ein Vielfaches höher liegen, wird die israelische Reaktion zur Bekämpfung von Hamas und Islamischer Dschihad in Palästina weltweit als unverhältnismäßig empfunden.

UN-Menschenrechtsexpert:innen berichten, dass es im Nahost-Konflikt derzeit starke Anzeichen für Kriegsverbrechen auf palästinensischer wie auch auf israelischer Seite gibt, weil das Bombardement auf beiden Seiten auch auf zivile Opfer abzielt. Viele Raketen der Hamas und des Islamischen Dschihad in Palästina gingen zudem in Palästina nieder und töteten Zivilisten. Perfider Weise setzen diese beiden terroristischen Organisationen auch menschliche Schutzschilde ein, um die israelische Regierung noch stärker in die Kritik zu bringen.

Dass die Hamas dennoch Rückhalt in der Bevölkerung hat – wenn auch längst nicht mehr so stark wie zur letzten Wahl im Jahr 2006 –, ist vor allem der wirklich verzweifelten Lage im Gazastreifen und der Propaganda der Hamas geschuldet. Der Gazastreifen hat rund 1,9 Millionen Einwohner und ist mit seinen 360 km² flächenmäßig etwas größer als das 311 km² große München (1,5 Millionen Einwohner), hat aber bedeutend schlechtere ökonomische Grundvoraussetzungen. Auf dem Boden lässt sich heute kaum noch etwas anbauen. Die meisten Produkte müssen importiert werden – zum Teil über das Tunnelsystem zwischen Gaza und Ägypten, das u. a. wegen militärischer Nutzung durch die Hamas und den Islamischen Dschihad in Palästina nun wieder dem israelischen Bombardement ausgesetzt war. Die Strom- und Trinkwasserversorgung ist verheerend. Sowohl die Hamas-Regierung als auch Israel und Ägypten betreiben ein rigoroses Grenzsystem und Israel hat die Kontrolle über den See- und Luftraum. Auch die Hamas-Regierung reglementiert die Ein- und Ausreise der Einwohner:innen von Gaza sehr stark. Die psychische Verfasstheit von Menschen, die in einem solchen Land, das eigentlich mehr einem Gefängnis ähnelt, ihr Leben fristen, muss aufs Äußerste gespannt sein.

Seit einiger Zeit verliert die Hamas-Regierung an Rückhalt in der arabischen Welt. Ägypten riegelte 2013 die Grenze ab, viele arabischen Länder solidarisieren sich mehr oder weniger öffentlich mit Israel. Die Türkei, Katar und vor allem der Iran kooperieren aber mit der Hamas, und der Iran liefert vermutlich auch einen Teil der Waffen, die derzeit auf Israel gefeuert werden, auf jeden Fall aber das technologische Know-how.

Welche Rolle kann oder soll Deutschland in diesem Zusammenhang spielen? In einem tiefen historischen Sinn tragen wir Deutschen eine Mitverantwortung für das Schicksal der vom Konflikt betroffenen Menschen. Gerade deshalb sollten wir, wo immer sich eine Chance dazu ergibt, zur Befriedung beitragen. Nach den Worten von Bundeskanzlerin Merkel ist es deutsche Staatsräson, für das Existenzrecht Israels einzustehen. Wir sollten begreifen lernen, wie dieser immer noch junge Staat eben dieses Existenzrecht gegenüber seinen arabischen Nachbarn und dem Iran hat behaupten müssen und auch heute noch behaupten muss. Wir sollten aber – gerade auch im Interesse Israels – auf beiden Seiten die Kräfte stärken, die sich um Deeskalation bemühen. Dass Deutschland Waffen in mehrere Konfliktregionen liefert, muss gestoppt werden. Von Deutschland darf nie wieder Krieg ausgehen, dürfen keine Rüstungsexporte für Leid und Tod mitverantwortlich sein.

Letztlich führt kein anderer Weg zum Frieden als der Friede. Dieser muss in den kleinsten Strukturen des Zusammenlebens beginnen. Die sozialen Spannungen auch innerhalb der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft müssen abgebaut werden. Kinder im Gazastreifen müssen wieder die Chance erhalten, mit kindlichen Augen die Welt zu entdecken und sich ihre eigenen Meinungen zu bilden. Dazu müssen aber wieder demokratische Strukturen in Gaza geschaffen und auf allen Seiten Kompromisse eingegangen werden. Ohne diese Bereitschaft zum Kompromiss werden Israelis weiterhin in Angst leben und werden weiterhin verlorene Generationen Palästinenser ihr Dasein fristen.

Daher gilt unser Appell, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen und, auf Grundlage der vorherigen Pläne und Abkommen, die Zweistaatenlösung weiterzuverfolgen. Lasst die Waffen ruhen, gebt den Menschen Frieden, Sicherheit und Wahrheit. Klammert euch nicht an die Macht, gesteht Fehlentwicklungen ein und entwickelt Mitgefühl für die Nöte, Ängste und Wünsche der anderen Seite! Es ist schwer, aber es lohnt sich, denn so kann endlich Frieden und Sicherheit gewährleistet werden. Für alle Israelis und Palästinenser.

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